Gut eine Woche nach der Ermordung Dutzender Feriengäste durch einen Islamisten hat Tunesiens Präsident Béji Caïd Essebsi den Ausnahmezustand verhängt. «Wir sind in grosser Gefahr», sagte er am Samstagabend in einer Fernsehansprache.
«Wir befinden uns im Kriegszustand», sagte der Präsident weiter. Das Land sei in einer schwierigen Lage und es sei notwendig, ausländische Investoren anzuziehen, fügte er hinzu. «Aber investitionsfreundliches Klima haben wir zur Zeit nicht.» Vor allem durch das im Nachbarland Libyen herrschende Chaos sei Tunesien einer «besonderen Form des Krieges» ausgesetzt.
Mit der Verhängung des Ausnahmezustandes reagiert Essebsi auf den Angriff auf Touristen in einem Hotel im Badeort Sousse am Freitag vor einer Woche.
Ein 24 Jahre alter Täter hatte in der Anlage des «Imperial Marhaba» eine halbe Stunde lang um sich geschossen, bevor er selbst von Sicherheitskräften getötet wurde. 38 Touristen kamen ums Leben. Die meisten waren Briten. Aber auch zwei Deutsche waren unter den Opfern. Das Attentat war das bislang blutigste in der Geschichte des nordafrikanischen Landes.
Die Behörden verkündeten am Samstag die Entlassung von mehreren Verantwortlichen, darunter des Gouverneurs der Region, in der sich der Anschlag ereignet hatte. Zudem nahmen die tunesischen Sicherheitskräfte acht Verdächtige fest, die nach Regierungsangaben zu einem «Netzwerk» hinter dem Anschlag gerechnet werden.
Reaktion der Polizei kritisiert
In einem BBC-Interview räumte Ministerpräsident Habib Essid ein, dass die Polizei zu langsam gehandelt habe. «Die Zeit der Reaktion – das ist das Problem», sagte Essid dem Sender. Nach Angaben des Regierungschefs wurde der Täter in Libyen trainiert, «vermutlich» von der Miliz Ansar al-Scharia.
Die salafistische libysche Gruppierung steht auf der Terrorliste der USA, weil sie an dem Angriff auf das US-Konsulat in Bengasi beteiligt gewesen sein soll, bei dem im September 2012 der Botschafter Christopher Stevens getötet wurde. Auch eine tunesische Gruppe des Namens ist in Libyen aktiv.
Ausnahmezustand vor einem Jahr aufgehoben
Tunesien hatte erst im März 2014 den Ausnahmezustand, der seit dem Arabischen Frühling 2011 gegolten hatte, aufgehoben. Die Sicherheitskräfte hatten dadurch umfassende Rechte bekommen: So durften sie zum Beispiel schiessen, wenn sich eine verdächtige Person widersetzte.
Die Regierung geht gegenwärtig auch massiv gegen Hassprediger vor. Laut Staatsmedien sollen bis Sonntag die rund 80 Moscheen, die nicht unter staatlicher Kontrolle stehen, geschlossen sein.
Der neuen tunesischen Verfassung zufolge darf der Präsident den Ausnahmezustand im Falle einer akuten Bedrohung des Staates nach Beratungen mit dem Regierungschef und dem Parlamentspräsidenten verhängen. Allerdings darf er in einer solchen Extremsituation nicht das Parlament auflösen.
30 Tage nach Verhängung des Ausnahmezustands dürfen der Parlamentspräsident oder mindestens 30 Parlamentarier das Verfassungsgericht anrufen, um die Massnahme zu überprüfen. Eine Verfassungsgericht gibt es in Tunesien allerdings noch nicht. Es soll in diesem Jahr aufgebaut werden.
Frust über mangelnde Perspektiven
In Tunesien wurde 2011 der autoritäre Langzeitmachthaber Zine el Abidine Ben Ali gestürzt. Durch die Unruhen in der Region nehmen islamistische Übergriffe seither immer weiter zu.
Viele junge Tunesier ziehen offenbar aus Frust über mangelnde Perspektiven in den «Heiligen Krieg». Mehr als 3000 Tunesier sollen sich bereits islamistischen Milizen im Irak, in Syrien und im Nachbarland Libyen angeschlossen haben.