Der Microblogging-Dienst Twitter beugt sich dem Rechtssystem der realen Welt: Künftig sollen «Tweets», deren Inhalt gegen lokale Gesetze verstösst, in den betreffenden Ländern nicht mehr sichtbar sein. Das ist störend, weil Twitter ein Infrastruktur- und keine Inhalteanbieter ist. «Twitter-Revolutionen», monieren Kritiker, wird es nicht mehr geben.
Als sich Google den chinesischen Zensurgesetzen beugen wollte, war der Aufschrei gross (und das Lob, als Google einen Rückzieher machte, auch). So geht es immer, wenn sich eines der grossen Internetunternehmen, die dank der Ermächtigung der breiten Bevölkerung zum Publizieren gross geworden sind, sich nicht mehr nur amerikanischem, sondern anderem, lokalem Recht zu beugen versucht.
Dass der Microblogging-Dienst Twitter, den immer mehr Menschen als Nachrichtenquelle und kritische Newsquelle zu schätzen gelernt haben, jetzt ankündigt, sich überall an die lokalen Gesetze halten zu wollen – gehört ins gleiche Kapitel. Es ist ein Rückschritt auf dem Weg zur globalen Meinungsäusserungsfreiheit. Allerdings jener im Sinne des 1. amerikanischen Verfassungszusatzes, die bisher noch von keiner Weltregierung zum globalen Standard erklärt worden ist.
Auch in der Schweiz nicht. Wer hierzulande öffentlich behauptet, der Holocaust habe nicht existiert oder ganze Ethnien schmäht, riskiert eine Anklage wegen der Rassismusstrafnorm. Wer in Deutschland Hitlers «Mein Kampf» verkauft, kriegt es mit dem Halter der Urheberrechte, dem Freistaat Bayern, zu tun – vorerst noch. Wer in gewissen Ländern über Homosexualität twittert, macht sich dort strafbar.
Nun könnte man behaupten, wir alle hätten uns ganz einfach auf Grund der aus den USA in die ganze Welt gespülten Rechtsauffassung an diese und an den Grundsatz der totalen Meinungsäusserungsfreiheit gewöhnt, und es sei nichts falsch daran, dass dieser «Auswuchs», der auf der Grenzenlosigkeit des Internet basiert, korrigiert und die Ordnung – oder aber eben sogar die lokale Souveränität und die Subsidiarität der Rechtssysteme geschützt werde.
Stossend ist es im Falle von Twitter dennoch. Und zwar, weil ein Unternehmen, das lediglich die Infrastruktur für die Verbreitung von Inhalten – ähnlich einem Telefondienstanbieter – zur Verfügung stellt, freiwillig die Bereitschaft zu Massnahmen im Auftrag von Behörden und Regierungen signalisiert, gegen die sich andere seit Jahren und mit guten Argumenten heftig wehren: Wenn Twitter die Verantwortung für die Inhalte übernimmt, die seine Nutzer verbreiten, ist das ein Fanal, aber eines am falschen Ende des Spektrums.
Twitter könnte sich problemlos auf den Standpunkt stellen, die Haftung für die Inhalte liege bei den Nutzern, und diesen allenfalls Mittel zur Verfügung stellen, mit denen sie selber verhindern könnten, anderswo das Recht zu verletzen – wenn sie das aktiv verhindern wollen.
Mit Filtern aber, die in einzelnen Ländern Tweets aufgrund von Schlüsselwörtern oder dergleichen abfangen werden – denn eine manuelle Redaktion der Tweets ist weder realistisch noch wünschbar –, öffnet der Dienst Schleusentore, die andere verdienstvollerweise bisher geschlossen zu halten versuchten.
Und Twitter weckt Begehrlichkeiten bei Regimes, deren Rechtssysteme weder demokratisch noch sonstwie legitimiert sind, die aber faktisch mit einem Dekret verhindern können, dass ihre «Untertanen» Twitter effektiv zur Organisation von demokratischen oder sonstigen politischen Vorgängen nutzen.
Blogger Jannis Kuchartz bringt es so auf den Punkt: Eine Twitter-Revolution wird es nicht mehr geben. Ob das Twitter dient, wage ich zu bezweifeln. Denn während andere wie Yahoo oder Google sich deswegen bisweilen hintenüber beugen, weil sie in den betreffenden Ländern Geschäfte machen wollen und auf eine generelle Wertsteigerung durch neue Märkte hoffen, hat Twitter als simpler Textdurchleiter mit Nachgiebigkeit wenig zu gewinnen, aber an Glaubwürdigkeit in den bestehenden Märkten sehr viel zu verlieren.
Twitter hat sich soeben selber ein bisschen entwertet.