„Am Boden“. So nannte Gorki sein „Nachtasyl“, indem er die Gestrandeten der Stadt porträtierte, die ganz unten, am Boden, angekommen waren. „Tyrannosaur“ nennt Paddy Considine seine Schilderung der Gestrandeten. Obwohl „Tyrannosaur“ sich ganz nahe an die Wirklichkeit der sterbenden britischen Vorstädte heranwagt, ist er ein Kunst-Film, der sich viel breiter mit der Gesellschaft auseinandersetzt, als nur mit ihren Randgebieten. Mit fotografischem Scharfblick, mit einer reduzierten Sprache, mit einer auf fünf Personen konzentrierten Dramaturgie liefert ein eindringliches Bild der Hoffnungslosigkeit und – Liebe. Ein Film der verstört und – glücklich macht.
Tyrannosaur Peter Mullan
„Am Boden“. So nannte Gorki vor 110 Jahren sein Stück „Nachtasyl“, in dem er die Gestrandeten der Stadt porträtierte, die ganz unten, am Boden der Gesellschaft, angekommen waren. „Tyrannosaur“ nennt der Schlagzeuger Paddy Considine seine Schilderung der Gestrandeten. Wir sind also auf Aussterben gefasst. Und Gewaltpotential.
Auch wenn „Tyrannosaur“ sich mitten in die Wirklichkeit der sterbenden britischen Vorstädte hinein wagt, bleibt er bei aller Sozialprägung ein Kunst-Film. Mit fotografischem Scharfblick, mit einer reduzierten Sprache und mit einer auf fünf Personen konzentrierten Dramaturgie liefert „Tyrannosaur“ ein eindringliches Bild des gesellschaftlichen Wandel in den Randgebieten, der Hoffnungslosigkeit eines Randständigen und seine – Liebe. Ein Film der verstört und – glücklich macht.
Joseph ist am Ende. Er ist unten angekommen, wenn auch noch nicht ganz unten. Unter ihm ist nur noch sein Kumpel, ein Hund. Aber auch nicht mehr lange. Joseph erschlägt ihn im Suff. Überhaupt scheint er auf alles einprügeln zu wollen was seine Wut weckt: Die Schaufensterscheibe der Wechselstube, den Nachbarn, den Wellblech-Schuppen, den er – noch – bewohnt.
Hannah ist Verkaufskraft im örtlichen Caritas-Kleiderladen. Sie scheint noch auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen. An einer Nahtstelle zwischen Arm und Reich steht sie noch auf der Seite der Menschen mit Arbeit: Sie verteilt als professionelle Helferin Kleider. Sie führt den Laden für die Armen, wohnt selber mit ihrem Mann in einem Einfamilienhaus. Hinter einem blauen Auge tritt allerdings auch bei Hannah bald ein Schicksal an den Tag: Ihre Ehe ist gestrandet. Ihr Mann schlägt sie.
Wie Joseph nun Hannah findet, wie Hanna erst Joseph aufnimmt, und Joseph dann Hannah, ist der Kern der Geschichte. Obwohl Joseph auf die kleinsten Reizungen nur noch mit Gewalt reagieren kann, betet Hannah für ihn. Aber sie betet nicht aus Glauben. Sie betet aus Verzweiflung. Ihr eigenes Leben ist längst eine schiefe Ebene, nur noch wenig von der schiefen Bahn entfernt. Joseph erkennt das sehr rasch. Und schlägt nicht mehr zu. Im Gegenteil: Er ist der erste, der in Hannah die geprügelte Frau erkennt.
Was erst aussieht wie ein Film über einen gewalttätigen Mann, entpuppt sich als eine raue Liebesgeschichte aus einer Gesellschaft in Schieflage, aus der immer mehr in die Armut abrutschen. Die Gewalt sucht den Ausweg aus der Verzweiflung. Peter Mullan (War Horse, Children of Men) schlägt uns mit seiner trockenen Spielweise von Beginn weg in Bann. Er trifft mit der breit gefächerten Gefühlswelt von Olivia Colman auf sein poetisches Gegenstück.
Der Regisseur Considine kennt das Gefühl, auf ein Fell einzuprügeln, aus einem ganz anderen Zusammenhang – als Schlagzeuger gründete er She talks to angels, war lange Teil der Band, ehe er ins Fotografen- und Schauspielerfach wechselte. Als Darsteller unterhielt er uns unter anderem in „Hot Fuzz“. Als Regisseur ist ihm mit „Tyrannosaur“ ein eindringlich glänzender Film ohne Hochglanz gelungen. Eine stille, melancholische Ballade.