Ü-60 «Week-End»

Ein Theaterbesuch ist oft wie der Besuch einer Ü-60 Party: Lockenkopfschütteln zu den Hits von Gestern. Zeichnet sich für das Kinopublikum ein ähnlicher Trend ab? Wer demnächst den dreissigsten Hochzeitstag feiern will, kriegt dazu im Kino Atelier Gelegenheit. Meg und Nick reisen, wie damals vor dreissig Jahren, in den Flitterwochen nach Paris. Zum Zweiten Mal. […]

Ein Theaterbesuch ist oft wie der Besuch einer Ü-60 Party: Lockenkopfschütteln zu den Hits von Gestern. Zeichnet sich für das Kinopublikum ein ähnlicher Trend ab? Wer demnächst den dreissigsten Hochzeitstag feiern will, kriegt dazu im Kino Atelier Gelegenheit.

Meg und Nick reisen, wie damals vor dreissig Jahren, in den Flitterwochen nach Paris. Zum Zweiten Mal. Nach dreissig Jahren Ehe muss ein Paar über Liebe alles wissen. Wie hübsch die Liebe rostet. Wie tief sie sitzt. Das verspricht einen geistreichen Ü-60-Film. Aber Vorsicht: Bisher waren es eher Theaterbesuche, die sich wie der Blick in eine Ü-60 Party anfühlten (Lockenkopfschütteln zu den Hits von Gestern). Zeichnet sich jetzt ein ähnlicher Trend für das Kinopulikum ab? Nein! Die beiden Oldies in Week-End beweisen mehr jugendlichen Übermut als es einem junge Paare lieb sein kann.

In «Week-End» fahren Meg und Nick nicht in irgendwelche Flitterwochen. Sie beziehen genau jenes Zimmer am Mont-Parnasse in Paris, das sie vor dreissig Jahren schon bezogen hatten. Doch Meg findet das Zimmer zu klein. Zu beige. Wozu in einem Sarg übernachten? Meg sitzt bereits im Taxi, als Nick ihr hinterher rennt. Ohne seine Frau ist die Ehe ihm unerträglich.

Die Liebe ist wie ein guter Wein: Je älter desto besser

Wären es die ersten Flitter, wir dürften skeptisch sein. Meg und Nick aber sind erfahrene Wöchner. Sie fahren bereits zum zweiten Mal nach Paris. Sie haben längst hinter sich, was man in den ersten Flitterwochen vor sich hat: Nachwuchs gross ziehen, Kinder begleiten, Karriere machen. Sie feiern ihren Dreissigsten.

Für eine Karriere hat es nicht gereicht. Die Kinder sind aus dem Haus, das zwar Meg und Nick gehört, und endlich renoviert werden müsste. Aber erst wollen sie ihren Hochzeitstag feiern. Im selben Hotel. Im selben Zimmer. In der selben Stadt.

Man springt nie zweimal in denselben Fluss.

Dennoch: Nach dreissig Jahren ist es nicht mehr die selbe Liebe. Nach dreissig Jahren ist die Liebe nicht mehr was sie einmal war: Blind. Eher braucht man selber eine Lesebrille. Dazu kommt das wahre Alter der beiden: Alte Menschen neigen zur Wahrheit. Auch in der Liebe.

Von Meg und Nick können wir also eine Menge lernen. Die Jungverliebten, wie man sich weiterhin noch jünger verliebt. Die Liebenden: Wie man den Übergang von der Verliebtheit in die Liebe schafft. Die Ehepaare: Wie man immer wieder neu anfängt. Die Geschiedenen: Wie sie es nächstes Mal besser machen könnten. Die Alten: Wie man mit der Wahrheit lebt.

Zwei Hauptdarsteller mit jungem Herz und frischem Geist im alten Körper

Roger Michell hat das mit viel Schwung inszeniert. Er folgt dem Paar zu Klängen, die an Miles Davis betörende Klänge zu «Der Lift zum Schafott» erinnern. Was Lindsay Duncan und Jim Broadbent miteindander für Spass entwickeln ist ein Vergnügen für altgediente Paare und Hohe Schule für Paar-Frischlinge. Die Liebe im Alter hat gegenüber der Verliebtheit der Jugend den Vorteil, dass die Klarsicht die rosa Wolken ersetzt. Brodbent gewinnt mit der Bärbeissigkeit des vergelsterten Altlehrers zunehmend an Grösse. Und Lindsay Duncan zeigt mehrfach gute Gründe, warum ein Mann so lange, und so stur um eine Frau werben mag.

Hochzeitstage sind eine delikate Angelegenheit. Meist sind die Kinder aus dem Haus. Man ist jetzt endlich unter sich. Doch das ist eben der heikle Punkt: Kann man jetzt noch zu zweit allein sein? Die Ehe zweier Menschen, die einander in Liebe verbunden sind, kommt nie zur Ruhe; sie lebt von elementarer Uneinigkeit. Was dann geschieht, nach dreissig Jahren, ist jetzt in «Week-End» zu besichtigen. 

 

 

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