Viele Assistenz- und Oberärzte in der Schweiz haben im vergangenen Jahr mehr gearbeitet als das Gesetz erlaubt und auch als ihr Arbeitsvertrag vorgibt. Jeder zweite sagt, wegen Übermüdung mindestens einen Patienten in Gefahr gebracht zu haben.
Das zeigt eine Umfrage im Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO) zum Jahr 2016. Die Überschreitungen der zulässigen Arbeitszeit sei für das Wohlbefinden der Ärzte und die Sicherheit der Patienten gravierend, kritisierte der VSAO am Dienstag.
56 Wochenstunden
Gut die Hälfte der Antwortenden (52 Prozent) arbeitete im vergangenen Jahr – aufgerechnet auf eine Vollzeitstelle – mehr als die gesetzlich erlaubte Wochen-Höchstarbeitszeit von 50 Stunden. Hochgerechnet auf ein volles Pensum waren die Ärztinnen und Ärzte im Mittel in der Woche gegen 56 Stunden im Dienst.
Grundsätzlich bemühten sich die Spitäler, die vorgeschriebene Höchstarbeitszeit einzuhalten, und sie hätten viel für Verbesserungen getan, sagte Dorit Djelid, Sprecherin des Verbandes H+, auf Anfrage zu den Umfrageergebnissen. Aber nicht überall gelinge es, die 50-Stunden-Woche umzusetzen.
«Mehr Personal bedeutet höhere Kosten»
Djelid nannte zwei Faktoren: Einerseits könnten Spitäler zwar mehr Ärztinnen und Ärzte einstellen, aber nur, wenn sie sie finden würden. Auf der anderen Seite stünden die viel kritisierten Gesundheitskosten. «Mehr Personal bedeutet eben auch höhere Kosten.»
Jeder zweite Antwortende gab an, wegen durch die Arbeit verursachter Übermüdung mindestens einmal einen Patienten oder eine Patientin in Gefahr gebracht zu haben. In einer Umfrage zu 2013 hatten erst 38 Prozent von dieser Situation gesprochen. Eine solche Gefährdung liege nicht im Interesse der Spitäler, sagte Djelid dazu.
Überstunden kämen unter anderem auch wegen nicht sehr praktikabler Vorgaben zusammen, etwa bei der in den Vorschriften nicht vorgesehenen Übergabe von einer Zwölfstunden-Schicht zur nächsten. Diese ärztlichen Absprachen zu Dienstende und -beginn dienten nicht zuletzt der Patientensicherheit.
Im Schnitt 2,6 Stunden Überzeit pro Woche werden von den Spitalärztinnen und -ärzten zudem nicht gemeldet. 2013 war dies lediglich bei 2,2 Stunden Überzeit pro Woche der Fall gewesen.
Eine Verbesserung gab es dagegen bei den mehr als sieben Tage dauernden Schichten: 54 Prozent der Antwortenden arbeiteten 2016 nie mehr als sieben Tage am Stück. Drei Jahre zuvor hatten dies erst 46 Prozent angegeben.
Müde, erschöpft, ausgelaugt
Etliche Spitalärzte fühlen sich zudem müde, erschöpft oder ausgelaugt, und etliche sind mindestens vorübergehend an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gekommen. 38 Prozent haben laut der Umfrage schon einmal den Gedanken «Ich kann nicht mehr» gehabt. In der Umfrage zu 2013 hatten dies erst 33 Prozent angegeben.
Der VSAO, der seit längerem fordert, dass sich die Spitäler ans Arbeitsgesetz halten, will sich nun dafür einsetzen, dass die Assistenz- und Oberärzte weniger administrative Arbeiten leisten müssen. Damit ist auch H+ einverstanden. Die Spitäler und Kliniken will er zudem beim Erstellen von Dienstplänen beraten.
Für die Erhebung schrieb das Institut Demoscope von Mitte Januar bis Mitte Februar über 13’000 Mitglieder des VSAO per Mail oder Brief an. 3331 Ärzte und Ärztinnen retournierten den komplett ausgefüllten Fragebogen.