Was die katholischen Priester Sonntag für Sonntag predigen, kommt bei der Basis nicht gut an. Vor allem bei Fragen zu Ehe und Sexualität herrscht eine grosse Kluft zwischen der Lehre und dem Leben der Gläubigen. Die Schweizer Bischöfe wollen die Kritik ernst nehmen.
Die ersten Erkenntnisse der von Papst Franziskus höchstpersönlich initiierten Umfrage lassen kaum ein gutes Haar an den Lehren aus Rom. In der Befragung äusserte eine grosse Mehrheit Mühe mit der Verweigerung der Sakramente für Wiederverheiratete. Knapp 90 Prozent der rund 23’600 Antwortenden in der Schweiz wünschen sich eine kirchliche Anerkennung und Segnung solcher Partnerschaften.
Auch bei der Frage der Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Paaren äusserten die Gläubigen Kritik an der katholischen Lehre. 60 Prozent der Befragten wünschen sich, dass die Kirche schwule und lesbische Partnerschaften anerkennt und segnet. Hier zeige sich aber eine Polarisierung zwischen entschiedener Ablehnung und klarer Zustimmung, sagte Arnd Bünker, Leiter des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI), das die Umfrage ausgewertet hat.
Denkzettel für Kirche
«Die Umfrageergebnisse sind ein Paukenschlag», sagte Bischof Markus Büchel, Präsident der Schweizer Bischofskonferenz (SBK), am Dienstag vor den Medien in Bern. Trotzdem sei er nicht überrascht. «Wir haben vieles gewusst, was nun die Auswertungen ergeben haben.»
«Die moralische Lehre der Kirche wird von den Gläubigen nicht immer gut verstanden», hielt SBK-Vizepräsident und Bischof Charles Morerod fest. «Die Wertvorstellungen der Schweizer Katholiken decken sich oft nicht mit der Position der Kirche.» In vielen Fragen habe die Kirche noch keine zufriedenstellende Antwort gefunden.
Dies zeigt sich auch beim umstrittenen Thema der Verhütung. Während die katholische Kirche Kondom und Pille ablehnt, greifen die allermeisten Katholikinnen und Katholiken darauf zurück. «Hier zeigt sich die dramatische Differenz zwischen Lehramt und Umfrageteilnehmenden», sagte Bünker.
Wichtige Synode
Die Schweizer Bischöfe wollen die Kritik der Basis ernst nehmen. Büchel kündigte an, dass neue Lösungen gefunden werden müssen. «Der Bericht landet nicht in einer Schublade», sagte der oberste Schweizer Bischof. Der Bericht gehe zuhanden der Synode nach Rom, wo im Oktober Bischöfe aus aller Welt «die pastoralen Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung» diskutieren werden.
Ob dies der Startschuss zu grundlegenden Reformen ist, bleibt indes offen. Wie dort auf die Umfrage reagiert werde, könne er nicht sagen, hielt Büchel fest. «Eine Synode soll aber immer Änderungen mit sich bringen.»
«Der Papst will aber bewusst nicht nur die Meinung der Bischöfe hören, sondern auch diejenige der Gläubigen», sagte Büchel. Er habe damit ein Zeichen gesetzt. «Der Dialog zwischen der Basis und Rom ist eine Chance für die Kirche.»
Christliche Werte wichtig
Rund 24’000 Menschen haben bei der Umfrage zur Ehe-, Familien- und Partnerschaftspastoral teilgenommen, drei Viertel davon online und rund 87 Prozent in deutscher Sprache. 92 Prozent der Teilnehmenden gehören der römisch-katholischen Kirche an. Gleichzeitig fanden in den Diözesen interne Befragungen unter Seelsorgenden sowie Experten statt.
Die Umfrage brachte für die Kirche auch Positives hervor. Eine Chance für die Kirche sieht das SPI darin, dass die Kirchenbasis trotz aller Kritik an den Lehren grossen Wert auf die Rolle des Glaubens in der Familie und der Kindererziehung lege. So ist für 80 Prozent der Gläubigen die kirchliche Eheschliessung wichtig.