Mein guter Freund Marius hat nicht immer eine Ahnung von Kunst. Genau deshalb ist er auch die beste Begleitung für die Art. Ein Besuch an der Unlimited, für einmal ganz ohne Kunst-Gedöns.
Kunst funktioniert nicht ohne Gerede. Man redet, um sie zu teilen, um sie zu verkaufen, um sie zu verstehen. Man redet sie sich schön oder hässlich, man schwatzt, schimpft und schwärmt sich durch Ausstellungen hindurch, um einen gemeinsamen Nenner zu finden für etwas, das ohne Sprache kaum greifbar ist.
Wer sich aber ständig im Kulturkuchen bewegt, dem kommt das freie Reden über Kunst mit den Jahren abhanden. Der Blick wird flüchtiger und die Aussagen unausgegorener, man nimmt sich keine Zeit oder hat Angst, sich im immer professioneller werdenden Kreis als blosser Halbkenner zu outen.
Dabei ist Kunst doch dazu da, darüber zu reden, besonders an der Art hat sie die ein zwei knappen Sätze zwischen zwei flüchtigen Luftküsschen nicht verdient. Wo bleiben die leidenschaftlichen Phrasen und die wilden Assoziationsketten, die vortastenden Gedankengänge und die höhnischen Kommentare?
Ich sag euch, wo sie bleiben: Bei Menschen wie Marius. Marius ist ein guter Freund von mir. Marius mag Kunst, aber nicht auf diese beknackt ego-paradige Art. Er mag Kunst, weil sie ihn interessiert. Und weil Marius selten weiss, worum es geht, weiss er genau, worum es geht.
Das macht jetzt vielleicht noch keinen Sinn, wird es aber bald.
1. Julius von Bismarck: «Egocentric system»
«Das musst du als Basler ja nicht wirklich kommentieren. Auch wenn der Typ einen langen Bart hat und ein Macbook benutzt – das ist eine gentrifizierte Version der Tagada, dem Schüttelbecher an der Herbstmesse, auf dem immer alle Albaner und Türken sind, nachdem sie den Boxsack benutzt haben und schauen, wer am weitesten aussen stehen kann, ohne zu kotzen. Und der Künstler hier ist praktisch jetzt Chef-Tagadist. Am interessantesten wird es, wenn das Ding aufhört, sich zu drehen, der Tagadist von akutem Brechreiz geschüttelt wird und die Schüssel nicht mehr verlassen kann. Deshalb wohl auch der Abfluss in der Mitte. Damit sein täglich Erbrochenes schadlos abfliessen kann. Ich finde es grandios. Gehen wir weiter?»
2. Ai Weiwei: «Stacked»
«Das darf man anfassen? Ist ja immer so ein Dogma: Man darf Kunst nicht anfassen. Und wenn man dann plötzlich doch darf, dann fasst man es an und ist fast ein bisschen enttäuscht, weil nichts Verrücktes passiert. Vielleicht kann man es aber auch als Sublimations-Objekt gebrauchen, damit man eben nicht den Rembrandt anfassen muss. Vielleicht funktioniert Ai Weiwei hier als künstlerischer Blitzableiter für die Berührungswünsche der Besucher.»
3. Helen Marten: «Under Blossom: Lousy elegy»
«Es gibt Kunst, die ist von vornherein abstossend. Und zwar nicht auf die gute Art. Nicht auf spannende Weise eklig wie die salzigen Chili-Schleckstängel vom Asia-Shop, die man immer weiter lutschen will, obwohl sie abscheulich schmecken. Sondern einfach nur abstossend. Und diese esoterischen Vogelhäuser, die man dazu benutzen könnte, um irgendwo im Mittelatlantik Krebse zu fangen, machen die Sache auch nicht besser. Es ist einfach komplett arbiträr. Die Künstlerin sagts ja selbst: Lousy elegy. Und das ist es: Lousy.»
4. Felix Gonzalez-Torres: «Blue Placebo»
«Das ist doch der Künstler, der mit diesen Bonbons den Tod seines sehr guten Freundes verarbeitet? Hab ich auch mal im Beyeler gesehen. Man kann sich hier quasi ein Stück dieses Freundes mitnehmen und einverleiben. Grausig.»
5. Dan Flavin: «European Couples»
«Eine Mischung zwischen Amsterdamer Rotlicht-Viertel, ‹jetzt kannst du fahren› und ‹ich will nicht, dass du Heroin spritzt in meinem WC›.»
6. Pierre Huyghe: «Cambrian Explosion»
«Saugut. Es erfüllt das Grundprinzip eines faszinierenden Kunstwerks: Irritation. Und zwar auf zwei Arten. Der Kenner fühlt sich an die in Formaldehyd eingelegten Fische eines bestimmten Künstlers erinnert, der Banause denkt: voll geil, schwimmender Stein!»
7. William E. Jones: «America, Hail Satan»
«Projektionen sind schwer fassbar, man hat immer nur einen kurzen Ausschnitt und es ist schwierig, dem Werk gerecht zu werden, wenn man nicht das ganze Video gesehen hat. Allerdings ist es auch extrem langweilig, unglaublich lang vor einer Videoarbeit zu stehen, und verzweifelt zu versuchen, sie zu ergründen, nur um dann rauszukommen und festzustellen, dass man jetzt grad 20 Minuten vor einer sinnlosen Projektion vertrödelt hat.»
8. Pascale Marthine Tayou: «Plastic Tree»
«Und das ist wiederum das Gute an Werken wie diesem: Hier kann ich bereits nach drei Sekunden sagen, dass ich es scheisse finde. Es hat was von Räppli an Osterzweigen. Man könnte sich vorstellen, dass die Novartis sich das in eine ihrer neuen Eingangshallen stellen wird. Würde gut passen.»
9. John M. Armleder: «Medium Green, Woodland Scenics, Realistic Trees (FS)»
«Hat was von einer 1. Mai-Demo, an der eine Horde Lillifee-Prinzessinnen eine Franz Carl Weber-Filiale mit glitzernden Farbbomben beschmissen.»
10. Kader Attia: «Arab Spring»
«Auch 1. Mai, aber dieses Mal an der Langstrasse. Das mag ich, weil es in einem krassen Gegensatz zu all dem Lieblichen, Künstlichen hier steht. Es fällt unter die Kategorie ‹Irritiert mich, interessiert mich›. Auch weil es was Aufforderndes hat, eine Art Einladung zur Zerstörung.»
11. Jeppe Hein: «360° Illusion III»
«Die beliebteste Kunst ist ja immer die, die einen auf dem Selfie gut aussehen lässt.»