Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hat die Besorgnis der jüdischen Weltöffentlichkeit wegen des zunehmenden Antisemitismus in seinem Land zu zerstreuen versucht. Er sprach am Sonntagabend vor dem Plenum des Jüdischen Weltkongresses (WJC) in Budapest.
Der Dachverband der jüdischen Gemeinschaften und Organisationen ausserhalb Israels will mit der Abhaltung seines 14. Plenums in Budapest ein Zeichen gegen den wachsenden Judenhass in Ungarn setzen.
Zur Eröffung der Veranstaltung forderte WJC-Präsident Ronald S. Lauder den rechtskonservativen ungarischen Regierungschef auf, die «dunklen Kräfte» des Antisemitismus aktiv zu bekämpfen. «Die ungarischen Juden brauchen Sie, um dabei die feste und entschlossene Führung zu übernehmen», sagte er.
«Aus moralischer Verpflichtung heraus haben wir null Toleranz gegenüber dem Antisemitismus verkündet», sagte Orban. Er verwies darauf, dass seine Regierung den Holocaust-Gedenktag in den Schulen eingeführt und das Holocaust-Gedenkzentrum in Budapest errichtet habe. «Antisemitismus ist inakzeptabel und nicht zu dulden», sagte der Ministerpräsident.
Auf greifbare Massnahmen, um diese auch international kritisierte Erscheinung in seinem Land einzudämmen, ging Orban nicht ein. Auch die Demonstration der rechtsextremen Parlamentspartei Jobbik (Die Besseren), die am Vortag im Zentrum von Budapest über die Bühne gegangen war, erwähnte Orban in seiner Ansprache beim WJC-Dinner nicht. Jobbik ist die drittstärkste Kraft im ungarischen Parlament.
Problem in Ungarn relativiert
Vielmehr versuchte Orban, die Schwere des Problems in Ungarn zu relativieren und dessen Präsenz auch im übrigen Europa in den Vordergrund zu stellen. «Ganz Europa muss sich fragen, wie es zu dieser wirtschaftlichen Krise kommen konnte, die die Grundlage abgibt für Frustrationen, Wutreaktionen und Hassgefühle», meinte er.
Der Applaus am Ende der Rede blieb höflich. «Der Ministerpräsident hat die wahre Natur des Problems nicht angesprochen», erklärte ein WJC-Sprecher. Man bedaure, dass Orban auf die jüngsten antisemitischen Vorfälle im Lande nicht eingegangen sei.
Steigende Zahl antisemitischer Vorfälle
Seit dem Amtsantritt Orbans 2010 nimmt die Zahl judenfeindlicher Vorfälle in Ungarn deutlich zu. Nach Untersuchungen des Soziologen Andras Kovacs sind 34 Prozent der Ungarn der Ansicht, das politische und wirtschaftliche Geschehen werde von einem «geheimen jüdischen Zusammenwirken» bestimmt.
Beobachter sehen in dem oft widersprüchlichen Umgang Orbans mit antisemitischen Erscheinungen einen Teil des Problems. In einigen Medien aus dem Umkreis der Regierungspartei Fidesz (Bund Junger Demokraten) kommt es immer wieder zu Ausfällen gegen Juden und Roma.
Beim «antibolschewistischen und antizionistischen» Jobbik-Protest gegen den Jüdischen Weltkongress hatten antisemitische Transparente und Parolen dominiert. Parteichef Gabor Vona wetterte gegen die Abhaltung des WJC-Plenums in Budapest: «Wir Ungarn sind keine Antisemiten, wir sind nur etwas Besonderes, weil wir die einzigen in Europa sind, die Israel nicht die Füsse lecken.»
Der Jobbik-Abgeordnete Marton Gyöngyösi behauptete, dass in Ungarn «bereits Kindergartenkinder im Geiste des Zionismus erzogen» würden. Weiter sagte er: «Der Genozid, den Israel an der palästinensischen Urbevölkerung begeht, ist schlimmer als das, was sich die Nationalsozialisten in ihren kühnsten Träumen ausgemalt haben.»
Das WJC-Plenum findet alle vier Jahre statt und dauert bis Dienstag. Am Montag will der deutsche Aussenminister Guido Westerwelle als Gastredner erwartet. Die Behörden ergriffen umfassende Sicherheitsvorkehrungen, um den Tagungsort, ein Hotel in der Budapester Innenstadt, zu schützen.