Unschuldig eingesperrt

Community-Mitglied Gerri Häfele berichtet von seiner Zeit im geschlossenen Jugendstrafvollzug. Weil er sich gegen seinen Vater auflehnte, wurde er vom Jugendamt über Jahre in der Festung Aarburg inhaftiert, ohne straffällig geworden zu sein. Community-Mitglied Gerri Häfele berichtet von seiner Zeit im geschlossenen Jugendstrafvollzug. Weil er sich gegen seinen Vater auflehnte, wurde er vom Jugendamt über […]

Community-Mitglied Gerri Häfele berichtet von seiner Zeit im geschlossenen Jugendstrafvollzug. Weil er sich gegen seinen Vater auflehnte, wurde er vom Jugendamt über Jahre in der Festung Aarburg inhaftiert, ohne straffällig geworden zu sein.

Community-Mitglied Gerri Häfele berichtet von seiner Zeit im geschlossenen Jugendstrafvollzug. Weil er sich gegen seinen Vater auflehnte, wurde er vom Jugendamt über Jahre inhaftiert, ohne straffällig geworden zu sein.

Bei mir gab es ja nichts zu strafen, aber vollzogen wurde trotzdem, fünf Jahre lang. Ich gehöre nämlich zu der Kategorie der «administrativ zur Nacherziehung Eingelieferten». Die Dauer war nicht bestimmt, es dauerte eben so lange es das zuständige Jugendamt für notwendig hielt. Das Perfide daran war, dass es kein Urteil und somit auch keine Rekursmöglichkeit gab und der einweisende Jugendamtsbeamte gleichzeitig auch der Sachverständige für die Fortsetzung oder Aufhebung der Massnahme war. Man machte den Bock zum Gärtner sozusagen. Es reichte die Aussage der Eltern. Kein «rechtliches Gehör», und auch keine eigenen Untersuchungen. Fait accompli, sozusagen.

Erziehungsmassnahmen hinter Gittern

Ich landete dann also in einem (wie ich später erfahren durfte) vergleichsweise angenehmen Jugendheim, dessen Restriktionen ich aber nicht akzeptieren konnte und das Weite suchte. Mehrmals! Ich wurde immer wieder von der Polizei zurückgebracht. Danach wurde ich in die nächste Stufe, mit höherem Härtegrad befördert.

Der Trick ist nämlich die sukzessive Steigerung der Freiheitsbeschneidung, wenn man aufbegehrt, bis einem die erste Stufe in Relation zur aktuellen fast schon paradiesisch vorkommt. Und es funktioniert überraschend gut. Jedenfalls bei mir, und ich galt als hochintelligent und clever, ja fast schon verschlagen, wie das Jugendamt meinte. Endgültig angekommen war ich dann, als die nächtlichen Freiheitsträume zu Albträumen wurden, ich schweissgebadet aufwachte und tatsächlich froh war, immer noch hinter Gittern zu sein. Wie es wohl «harmloseren» Zeitgenossen erging?

Die Festung Aarburg ist auch heute noch ein Jugendheim des Kantons Aargau.

Die Festung Aarburg ist auch heute noch ein Jugendheim des Kantons Aargau.

Man zählt dann quasi Tage, nur dass man nicht weiss, wieviele übrig sind.

Als ich dann definitiv in die Versorgungsmaschinerie integriert war, wurden die Ansprüche merklich geringer: drei Mahlzeiten am Tag, ein Bett und, in meinem Fall, Schulbesuch extern nach heftigem Kampf. Man zählt dann quasi Tage, nur dass man nicht weiss, wie viele übrig sind. Zudem verhielt ich mich dann einigermassen unauffällig (was mir allerdings nicht immer gelang), um die Privilegien des externen Schulbesuchs und somit eines einigermassen normalen Lebens nicht zu gefährden.

Die Drohung mit Privilegien-Entzug war ein beliebtes Druckmittel, um Wohlverhalten zu erpressen. Ich wollte ja die meinen nicht verlieren, die mir unter anderem immerhin ermöglichten, die Post- und Telefonzensur zu umgehen und, ach ja, Mädchen zu treffen, täglich. Das war ja eines der grossen Probleme mit Langzeitwirkung: In dem Alter, wenn man sich seinen Platz im Leben sucht, Beziehungen austestet und langsam erwachsen wird, von eben diesem Leben isoliert zu sein.

Viele Insassen konnten nicht einmal lesen

Den anderen Insassen (damals wurden wir noch nicht Klienten genannt), die nicht das Glück hatten, tagsüber draussen zu sein, gings übler, aber immerhin war ihre Zeit absehbar. Was natürlich kein Trost war. Jedenfalls war von der eigentlich vorgesehenen Resozialisierung mangels geeignetem Personal, mangelnder finanzieller Ausstattung und wohl auch schlicht mangels Willen nichts zu spüren. Strafen schon, das war ja auch billiger. Vorbereitung auf die Entlassung, zum Beispiel? Die meisten konnten weder kochen, waschen noch mit Geld umgehen, ja nicht mal einen Einzahlungsschein ausfüllen. Wenn sie denn überhaupt lesen und schreiben konnten, und ich meine das weder abwertend noch arrogant.

Der Bildungs- und Entwicklungsgrad gewisser Insassen hat mich echt geschockt – ich kannte das nur aus der Literatur oder aus Filmen. Ich habe Alphabetisierungskurse im Heim veranstaltet, was mich als angenehmer Nebeneffekt vor körperlichen Übergriffen bewahrte. Also vor denen der anderen Insassen. Die Übergriffe der Betreuer waren so nicht zu vermeiden. Da mussten dann Drohungen mit Öffentlichkeit helfen. Was sie dank meiner Beziehungen auch taten. Zudem hatten gewisse «Pfähle» einen ziemlichen Respekt vor mir, bloss weil ich das Gymnasium besuchte. Ohne viel Glück und noch mehr Willen wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Dafür bin ich dankbar und denke an die, welche weniger davon hatten.

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» Gerri Häfele betreibt einen Blog, der auch einen längeren Eintrag über seine Zeit in der Erziehungsanstalt enthält. 

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