Es klingt wie Zauberei: Meerwasser verwandelt sich in Treibstoff und lässt tonnenschwere Schiffe über die Ozeane kreuzen. Der US-Marine ist dieser Trick nun gelungen – ganz ohne schwarze Magie, sondern mit einem komplexen chemischen Verfahren.
Die Entwicklung des flüssigen Brennstoffs aus Kohlenwasserstoffen könnte die Versorgung von Kriegsschiffen revolutionieren und den USA einen wichtigen strategischen Vorteil verschaffen. Von der Serienreife ist der Meerwasser-Sprit aber noch einige Zeit entfernt.
„Das ist für uns ein grosser Meilenstein“, sagt Vizeadmiral Philip Cullom. Bislang ist die US-Marine auf ihre Flotte von 15 Öltankern angewiesen, um Kriegsschiffe mit Treibstoff zu versorgen. Die Schiffe müssen ihre Missionen oft für mehrere Stunden unterbrechen, um auf hoher See betankt zu werden.
Ausserdem sind Nachschubrouten eine Achillesferse, die Feinde ins Visier nehmen können. Nur die US-Flugzeugträger und einige Unterseeboote sind vom Öl unabhängig, weil sie mit Atomenergie angetrieben werden.
In den vergangenen sechs Jahrzehnten habe die Marine auf eine unbegrenzte und günstige Versorgung mit Öl gebaut, sagt Cullom. „Wir haben Energie wie Luft behandelt, als etwas, das immer da ist und über das wir uns keine Gedanken machen müssen. Aber die Realität zeigt, dass wir uns sehr wohl darüber Gedanken machen müssen.“
Fast wie Diesel
In jahrelangen Experimenten haben US-Wissenschaftler im Auftrag des Militärs herausgefunden, wie aus Salzwasser Kohlendioxid und Wasserstoff gewonnen werden können – denn in Meerwasser ist die CO2-Konzentration 140 Mal höher als in der Luft. Mit einem Katalysator werden die beiden Gase dann in flüssigen Treibstoff umgewandelt.
Vom herkömmlichen Dieselöl unterscheidet sich das Gemisch kaum. „Wenn man nicht jedes Schiff und jeden Motor neu entwerfen will, dann braucht man einen Ersatztreibstoff, der genauso riecht und aussieht und praktisch Öl-Kraftstoffen gleich ist“, sagt Cullom.
Auch die Chemikerin Heather Willauer, die fast ein Jahrzehnt an dem Projekt geforscht hat, kann ihre Begeisterung kaum verbergen. „Zum ersten Mal haben wir eine Technologie entwickeln können, um CO2 und Wasserstoff gleichzeitig aus dem Meerwasser zu ziehen“, sagte sie.
Verfahren muss noch verfeinert werden
„Das ist ein grosser Durchbruch.“ Der nächste Schritt sei, den Treibstoff in industriellen Mengen herzustellen. Dazu müsse das Verfahren noch verfeinert werden. „Wir haben gezeigt, dass es möglich ist. Nun wollen wir die Effizienz des Prozesses verbessern“, sagt Willauer.
Das US-Militär hofft, dass die Kriegsschiffe nicht nur Treibstoff für den Selbstgebrauch herstellen. Cullom schwebt vor, dass eines Tages auch Flugzeuge mit dem Meerwasser-Sprit betankt werden können. Die Wissenschaftler des Naval Research Laboratory (NRL) haben bereits einen Flugzeugprototyp mit dem neuen Brennstoff erfolgreich abheben lassen.
Cullom sagt, die „bahnbrechende Technologie“ könne der Armee beim Nachschub und bei der Einsatzbereitschaft völlig neue Wege eröffnen. Noch wird er sich aber etwas gedulden müssen. Die Wissenschaftler rechnen damit, dass noch ein Jahrzehnt vergehen dürfte, bis US-Kriegsschiffe tatsächlich an Bord ihren eigenen Treibstoff produzieren werden.