Vegan essen – wirklich nur ein Trend?

Veganismus, reiner Trend? Vor einem Jahr hat TagesWoche-Mitarbeiterin Daniela Gschweng auf «tierfreie» Ernährung umgestellt. Ihr Rückblick auf ein Jahr mit vielen Aha-Effekten, vielen Fragen und einem dicken Lob.

Alles beim Alten ausser auf dem Teller? Daniela Gschweng erzählt, was sie in einem Jahr als Veganerin so erlebt hat. (Bild: Livio Marc Stöckli)

Regelmässige Leser erinnern sich: Vor einem Jahr habe ich meine Ernährung Stück für Stück auf «tierfrei» umgestellt und hier in der TagesWoche darüber berichtet. Hinter mir liegt inzwischen ein Jahr mit vielen Aha-Effekten und vielen Fragen.

Kurz nach Ostern 2014 war mein veganer Selbstversuch vorbei. Trotzdem bin ich noch immer ein schlampiger Veganer oder eine «avap» (as vegan as possible), wie ich das in Folge IV meines veganen Selbstversuchs bezeichnet hatte. Gegessen habe ich im vergangenen Jahr fast ausschliesslich vegan – aber auch zweimal Pizza (mit alles), ab und zu Käse aus Kuhmilch und ein paar nicht-vegane Süssigkeiten. Meine Lederjacke besitze ich auch noch. Es war unter dem Strich ein Jahr mit etlichen Aha-Effekten und vielen, vielen Fragen.

Die häufigste Frage war: «Was isst du denn die ganze Zeit?». Anfänglich habe ich mir gelegentlich schon überlegt, was ich essen soll. Diese Umstellungsphase ging aber überraschend schnell vorbei. Nur Käse, der fehlt mir immer noch. Bemerkt habe ich, dass vegan essen zwar tendenziell, aber nicht unbedingt gesünder ist.

Dafür sorgt schon der Markt. Vegane Produkte sind meist bio und manche Essenssünden wie Fertigpizza macht man schon beim Einkaufen nicht. Es gibt aber immer mehr vegane Fertigprodukte, da schwindet dieser Vorteil zusehends.

«Und wo kaufst du das ganze Zeug?»

Einkaufen ist nicht viel anders als im Jahr davor. Das meiste, was Veganer essen, gibt es dort, wo auch alle anderen einkaufen. Der Aufwand, herauszufinden, wo ich die besten und günstigsten Spezialprodukte für den neuen Speiseplan bekomme, war etwa so, wie nach dem Umzug in eine neue Stadt – beherrschbar.

Supermärkte kommen mir inzwischen sehr viel kleiner vor. Das Kühlregal etwa ist im letzten Jahr fast vollständig aus meiner Wahrnehmung verschwunden. Da steht wenig, was ich kaufen könnte. Etwas teurer geworden ist das Einkaufen auch. Produkte wie veganer Käse oder vegane Glace haben ihren Preis. Wer vorher viel Fleisch gegessen hat, lässt als Veganer aber wahrscheinlich weniger Geld an der Kasse liegen.

Das vegane Angebot in Basel hat sich im vergangenen Jahr stark verbessert. Viele Supermärkte haben inzwischen das Sortiment erweitert und es haben neue vegane Läden aufgemacht. Möglicherweise ist das Zufall und betraf genau das Jahr 2014.

«Und wenn du mal ne Ausnahme machen musst?»

Nur wenige Veganer, die ich im vergangenen Jahr kennengelernt habe, essen hundertprozentig vegan. Das hat mich selbst erstaunt. Ausnahmen machen fast alle aus denselben Gründen. Man ist irgendwo eingeladen und möchte nicht unhöflich sein, die Schoggi ist zu verführerisch, der Laden hat schon zu oder es gibt auf absehbare Zeit keine vegane Alternative. Anfänglich irrt man sich auch gelegentlich, was die Zutaten von Lebensmitteln betrifft.

Oft liegt es schlicht an den Möglichkeiten und an der eigenen Hartnäckigkeit. Für den Notfall Sojamilch und Nussmischung in der Handtasche herumtragen? Das Dessert für alle gleich selbst mitbringen? Lieber total gestresste Gastgeber? Da musste ich einiges mit mir selbst verhandeln. Ein Luxus eigentlich, denn zu wenig Lebensmittel gibt es hierzulande ja nur in ganz grossen Ausnahmefällen.

«Dann bist du ja gar kein richtiger Veganer»

Hm ja, genauso wenig wie kein Nichtraucher «ab und zu» eine Zigarette raucht? Nur dass der Vergleich hinkt. Für sein körperliches und soziales Funktionieren braucht niemand Zigaretten, essen dagegen muss jeder. Im Ganzen ist das aber eine schwierige Frage. Schliesst veganer Lebensstil mehr als nur die Ernährung ein? Also auch Kleidungsstücke aus Leder, Medikamente mit Gelatineanteil, Produkte, bei deren Herstellung Tierversuche gemacht wurden? Und was ist mit Wein? Da entscheidet jeder Veganer selbst. Was die Sache zwar handhabbar aber deswegen nicht verständlicher macht.

Smalltalk im 2015

Viel Spass hatte ich anfänglich bei sozialen Zusammenkünften jeder Art. Als Neuveganer wird man oft unversehens zum Smalltalk-Thema. Vielen Leuten scheint es Spass zu machen, Fragen zu stellen, die ungefähr anfangen mit: «Aber wenn du auf einer einsamen Insel wärst, und das Einzige, was du essen kannst…?». Würde ich natürlich dem armen Kaninchen, das mit mir auf dieser hypothetischen Insel gestrandet ist, das Fell über die Ohren ziehen und es essen. Vorausgesetzt, mein zivilisationsdegeneriertes Ich bekäme das technisch überhaupt hin. Oder glaubt ernsthaft jemand, ich verhungere lieber?

Fragen dieser Art sind so häufig, dass es im Netz eine grössere Menge sehr amüsanter Bingotabellen dazu gibt.

Smalltalkhilfe für geplagte VeganerInnen.

Smalltalkhilfe für geplagte VeganerInnen. (Bild: runvegan.blogspot.ch)

Ein Akzeptanzproblem hat Veganismus nach meinem Eindruck aber nicht. Etliche Bekannte, Freunde und Kollegen kamen auf mich zu und schlugen von sich aus Restaurants vor, in denen es vegane Gerichte gibt, fragten nach Rezepten oder erkundigten sich nach Einkaufsmöglichkeiten.

Zur Not Pommes und ein Lob an die Gastronomie

Und wie sieht es im öffentlichen Raum aus? Stimmt, das ist ein schwieriges Thema. Für die meisten Veganer ist das der häufigste Grund, Ausnahmen zu machen. Nicht jeder wohnt in einer Grossstadt wie Basel, wo es viele Restaurants und Imbisse gibt, die wenigstens ein veganes Gericht anbieten. Die Bereitschaft, in der Mittagspause durch die halbe Stadt zu fahren, ist aber doch begrenzt. Zur Not helfen Pommes, die mag fast jeder. 

Einer meiner grössten Aha-Effekte war dieser: Die Reaktionen in der Gastronomie waren ausnahmslos positiv, wenn ich nach einem veganen Gericht fragte. Kein einziges Mal runzelte jemand im Service die Stirn, zeigte sich verständnislos oder sagte «geht nicht», Wobei es zur Mittagszeit in der Küche bestimmt ganz schön Arbeit macht, wenn jemand ungeplant vegan essen will. An dieser Stelle also ein dickes Lob an die Gastronomie in Basel und Umgebung.

«Und, geht es dir jetzt besser?»

Abschliessend werde ich dann meistens nach dem «warum» gefragt. Oder danach, ob es mir jetzt besser ginge. Es klingt eventuell enttäuschend, aber rückblickend war die Ernährungsumstellung keine grosse Änderung. Ich fühle mich ein Jahr später weder gesünder, noch fitter, schöner oder sonst anders. Ab und zu fällt mir ein, dass meinetwegen in diesem Jahr vielleicht ein Küken weniger geschreddert und etwas weniger Energie verbraucht wurde. Alles beim Alten ausser auf dem Teller also. Wenn man vom wohltuenden Effekt eines guten Gewissens mal absieht.

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Die Artikel der Serie «Vegan auf Zeit» von Daniela Gschweng finden Sie in der rechten Spalte dieses Artikels verlinkt. 

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