Das schwere Zugunglück in Süditalien mit über 20 Toten wurde womöglich durch ein mangelhaftes Sicherheitssystem verursacht. Das Signalsystem auf der eingleisigen Strecke bei Bari sei eines der «riskantesten», sagte Verkehrsminister Graziano Delrio am Mittwoch in Rom.
Weil ein automatisches Kontrollsystem fehlt, bekommt eventuelles menschliches Versagen dadurch eine grosse Tragweite, wie Delrio weiter sagte. Die Zahl der Todesopfer bei dem Zusammenstoss zweier Passagierzüge am Dienstag wurde derweil von 25 auf 23 nach unten korrigiert.
Die Helfer hatten die gesamte Nacht auf Mittwoch nach möglichen weiteren Opfern oder Überlebenden in den zwei völlig verkeilten Wracks gesucht. «Wir kennen die Zahl der Passagiere nicht, weil es kein Flugzeug ist und wir keine Liste haben», sagte Staatsanwalt Francesco Giannella.
Der Ausbau der Bahnstrecke zwischen Andria und Corato in Apulien von einem auf zwei Gleise soll jahrelang verschleppt worden sein, obwohl die Finanzierung stand. Der Turiner Zeitung «La Stampa» zufolge wurden von der EU zur Verfügung gestellte Mittel in Höhe von 150 Millionen Euro für den Haushalt 2007 bis 2013 zum Bau zweiter Gleise grösstenteils nicht genutzt.
Verkehrsminister Delrio kündigte in Rom an, 1,8 Milliarden Euro in den Ausbau regionaler Netze zu stecken.
Offenbar keine Schweizer Opfer
An Bord der beiden Züge waren Studierende, Landarbeiter, Büroangestellte, Grosseltern und Kinder. Möglicherweise waren auch Ausländer unter den Toten, hiess es am Mittwoch. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hatte bis zum Abend keine Informationen über Schweizer Opfer.
Die Einsatzkräfte bargen Stunden nach dem Unglück die beiden Blackboxen der Züge. Sie sollten noch am Mittwoch geöffnet werden und bei der Aufklärung helfen. Die Staatsanwaltschaft in der Stadt Trani ermittelt wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung gegen Unbekannt.
Die beiden Züge, die aus den Jahren 2005 und 2009 stammten, waren am Dienstag mit etwa 100 Kilometern pro Stunde unterwegs, als sie an einer Kurve zwischen den Orten Andria und Corato ungebremst zusammenprallten.
Die Nachrichtenagentur Ansa berichtete unter Berufung auf Ermittlerkreise, möglicherweise habe ein verspäteter Zug dafür gesorgt, dass der Streckenabschnitt fälschlicherweise freigegeben worden sei. «Das Problem ist nicht das Einzelgleis, das etwa bei der Hälfte der Strecken in Italien vorliegt, sondern die Technologie, die die Unfälle verhindern soll», sagte Bahn-Experte Giuseppe Sciutto von der Universität Genua.
Kommunikation per Telefon
«In diesem Abschnitt sind keine automatischen Systeme im Einsatz», sagte Chef-Ermittler Giovanni Meoli von der Eisenbahnpolizei dem «Corriere della Sera» zufolge. «Es ist immer noch das alte System der Fernsprechnachrichten.» Das heisst, die Bahnhofvorsteher informieren sich gegenseitig per Telefon, wenn die Strecke frei ist.
«Diese Bahnstrecke ist schon zur Hälfte mit automatischen Kontrollsystemen ausgestattet, aber leider nicht der Teil, in dem das Unglück passiert ist», sagte Massimo Nitti, Chef der privaten Betreibergesellschaft Ferrotramviaria.
Seiner Ansicht nach sind die Behörden Schuld, dass der seit etwa zehn Jahren geplante Ausbau der Strecke auf zwei Gleise, der auch von der EU finanziert werden sollte, noch nicht passiert sei: «Wir haben das Problem, das alle Italiener kennen: Die Entscheidungsprozesse in den Behörden dauern 60 bis 80 Prozent länger als in jeder anderen Nation Europas», sagte er.