Verdunkelte Welt

Der junge Regisseur David Bösch inszeniert am Theater Basel Mozarts «Idomeneo» als Geschichte traumatisierter Kriegsheimkehrer.

Zuviel Blut? Idamante (hinten) und Idomeneo in besudelten Kostümen. (Bild: Hans Jörg Michel)

Der junge Regisseur David Bösch inszeniert am Theater Basel Mozarts «Idomeneo» als Geschichte traumatisierter Kriegsheimkehrer.

Alles dunkel, alles kaputt, alles dreckig. Es ist eine versehrte Welt, in die der Regisseur David Bösch die Handlung von Mozarts «Idomeneo» gestellt hat. Während der Ouvertüre führt ein Comicfilm vor Augen, wie es soweit kommen konnte: die Mitwirkung der Kreter und ihres Königs Idomeneo bei Eroberung und Zerstörung Trojas, die Rettung der von dort fliehenden Königstochter Ilia aus den Mittelmeerfluten. So legt diese Videoeinspielung das Fundament des Abends: inhaltlich, indem so die Opernhandlung auf traumatische Kriegserlebnisse zurückgeführt wird, welche die Menschen im Inneren beschädigte und verrohen liess; ästhetisch, indem hier eine Verbindung von naiver Kindlichkeit und schauerlicher Abgründigkeit gestiftet wird, welche im Folgenden der Bild- und Symbolsprache der Inszenierung den Stempel aufdrückt.

Theater Basel,
Nächste Aufführungsdaten:
18., 21., 26., 28. April,
8., 12., 20., 25., 28., 30. Mai.
www.theater-basel.ch

Der Kern der darauf aufbauenden Geschichte hat es in sich: König Idomeneo gerät auf seiner Rückkehr in die kretische Heimat in einen Sturm, und er kann Meeresgott Neptun nur mit dem Eid besänftigen, den Ersten zu opfern, auf den er am Strand treffen würde. Dieser rohe Akt menschlichen Überlebenswillens kommt Idomeneo teuer zu stehen, denn ihm begegnet dort kein anderer als sein eigener Sohn Idamante.

Ungeheuerliche Zerstörung

Und so erzählt die Oper über drei Akte hinweg, wie der Vater verzweifelt und erfolglos versucht, aus dieser Misere herauszukommen; wie der ahnungslose Sohn Idamante immer mehr in Verwirrung gerät, weil sich der heimgekehrte Vater entzieht und ein Glück nicht gedeiht, für das doch alle Voraussetzungen geschaffen zu sein scheinen. Der zürnend auf sein Opfer pochende Neptun vereitelt den Versuch, den Sohn ausser Landes zu schaffen und hetzt den Kretern ein Ungeheuer auf den Hals, was den König Idomeneo aufgrund der angerichteten Zerstörungen wiederum politisch unter Druck setzt. Am Ende ist denn der Vater so weit, dass er den Sohn opfern würde. – Und da kündet plötzlich ein Orakel von der Besänftigung des Meeresgottes.

Es werden starke Bilder im Kleinen gefunden, doch dieser Inszenierung fehlt im Grossen der tragende Spannungsbogen.

Im Libretto gibt es ein Happy End: Als Vollendung der amourösen Nebenhandlung heiratet Idamante die trojanische Prinzessin Ilia. Nicht so bei David Bösch: Hier gibt es Selbstmorde nicht nur der ebenfalls (und daher: unglücklich) in Idamante verliebten Elettra, sondern auch des gebrochenen Idomeneo, Kollaps des königlichen Beraters Arbace, Zusammenbruch von Idamante und Ilia. Die durchweg pessimistische Sicht der Inszenierung findet hier ihren in sich durchaus nachvollziehbaren Schlusspunkt. Es ist niemals wieder hell geworden über dem Kreta Idomeneos.

Es werden starke Bilder im Kleinen gefunden, doch dieser Inszenierung fehlt im Grossen der tragende Spannungsbogen. Es sind einfach zu viele symbolisch aufgeladene Details präsent, die dechiffriert werden wollen: das an sich überaus stimmige Bühnenbild und die teils phantastischen, teils etwas banalen Videoprojektionen (Patrick Bannwart und Falko Herold), die etwas zu oft blutbesudelten Kostüme (Falko Herold), ständiges Gestikulieren und Hantieren der Akteure ohne konturiertes Konzept von Personenführung. Es ist ein buntes symbolisches Wuchern, das bisweilen ins Unkontrolliert-Beliebige abrutscht – etwa wenn mit drei Kreuzen Golgatha-Assoziationen gesetzt werden, ohne dass ersichtlich wäre, worauf diese grosse Leidens- und Opferanspielung hinaus will.

Wunderbares Barockorchester

Zu alldem kommt die überaus subtile Musik Mozarts hinzu. Dass sie so differenziert erzählt wird, ist das Verdienst des wunderbar aufspielenden La Cetra Barockorchesters Basel. Anhand dieser noch recht barock konzipierten Mozartoper stellt Andrea Marcon in Basel einmal mehr unter Beweis, welche Bereicherung die Frische, Energie und Emotionalität historisch informierten Musizierens für den Theaterbetrieb bedeutet. Stellvertretend für die hohe, teils herausragende musikalische Qualität sei der Cellist Jonathan Pešek hervorgehoben, der die Rezitative so zupackend wie nuanciert begleitete.

Ist das ein Dienstagabendproblem? Das tolle Wetter?

Auch die Sänger boten ein hohes Niveau, reichten zum Teil aber technisch nicht ganz an das ausserordentliche Orchester heran oder harmonierten mit relativ starkem Vibrato klanglich mit diesem nicht hundertprozentig. Am meisten rührte musikalisch mit der dramatischen Elettra (Simone Schneider) eine Nebenrolle, überzeugend auch die jung besetzten Idamante (Solennʼ Lavanant-Linke) und Ilia (Laurence Guillod), ebenfalls Idomeno (Steve Davislim), der die lyrischen wie die heldenhaften Töne sicher zu bedienen wusste.

Dass man sich gerade aus musikalischen Gründen diese Produktion nicht entgehen lassen sollte, muss sich wohl noch etwas herumsprechen. Für einmal haben wir nicht die Premiere, sondern die dritte Aufführung besucht, und es war traurig zu registrieren, dass – wohlwollend geschätzt – nur ein Drittel der Zuschauerplätze besetzt war. Ist das ein Dienstagabendproblem? Das tolle Wetter? Die dichte Staffelung der Aufführungstermine? Oder die nicht gerade berauschenden Premierenrezensionen? Ab in die Oper! Denn diese Produktion hat es durchaus verdient, gesehen und gehört zu werden.

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