Im Café de la Paix ist ein Streit losgebrochen, im Café Suisse stapelt sich das Geschirr – schliesslich heisst der Ort Châteaubriant und nicht Chateaubriand.
Eine frische Baguette im Rucksack, an der grossen Laiterie in Retiers vorbei auf einem verlassenen Landsträsschen. Eine schöne Landschaft, der grau verhangene Himmel mag ihr nichts anhaben. Und weit vorn klopft es metallisch. Nehme das Geräusch langsam wahr, dieses Schlagen, regelmässig, hartes Eisen auf Metall. Es setzt sich langsam fest im Ohr, macht sich im Kopf bemerkbar. Dengeln? Ja, vor einer Scheune dengelt ein Mann seine Sense. Kein alter Mann – einer, der irgendwelche Borde mähen muss. Er dengelt die Sense.
Getreidefelder, soweit das Auge reicht. Wo Feldwege eingezeichnet sind auf der Karte, wächst Weizen oder Gerste. Die Leute hier haben niemanden gebeten, hierher zu kommen, um ihre Bretagne zu durchwandern. Ich marschiere auf kleinen Teersträsschen, ganz einsamen, kaum ein Auto. Mal ein Lastwagen, der Tiere transportiert, Landwirtschaftsmaschinen oder Milch. Ein riesiger Traktor manchmal. Auch ein Mähdrescher.
Ein Mittagessen aus dem Rucksack vor der Kirche von Fercé. Ein Kaffee in der Bar, wo eine Gruppe von Strassenarbeitern das Mittagessen einnimmt. Der Vorarbeiter telefoniert mit dem Natel. Die Wirtin ist zurückhaltend freundlich, duldet mich an der Bar, obwohl es Essenszeit ist. Die anderen auch. Draussen nieselt es. Hier wächst Weizen, Gerste, Mais, Touristen gehören an den Strand, nicht hierher. Aber der Kaffee ist recht.
Autos vor der Grube
Lange Strecken auf fadengeraden Teerstrassen. Einmal eine Abkürzung über eine Weide. Statt eines Gatters stehen in der Lücke der Hecke ein verrosteter Heuwender und ein Rechen. Auf der Weide zwei ebenfalls verrostende R4 und ein Traktor. Jemand hat mal eine Grube auszuheben begonnen. Vielleicht, um die R4 zu vergraben. Aber sie werden auch so mal zu Ende gerostet sein. Die Kühe folgen mir bis zum elektrischen Zaun.
In einem verlassenen Gehöft packe ich mein Notebook aus, schreibe ich ein paar Zeilen, ein paar Mails. Draussen regnet es. Ich warte auf das Ende des Regens und freue mich auf Châteaubriant. Ein hübsches Städtchen soll es sein, und seit langem marschiere ich wieder mal in ein Städtchen, von dem die Kathedrale weit ins Land grüsst. Da: Ein Kleinbus hält, eine Frau bittet mich einzusteigen. Diese Freundlichkeit! Sie führt mich vor ein Hotel. Doch: besetzt!
Langsam durchwandere ich Châteaubriant – ein heruntergekommenes Nest von vergangener Pracht. Hier muss einmal der Reichtum zuhause gewesen sein. Doch jetzt scheint alles in Lethargie zu zerrinnen. Im Café de la Paix herrscht grad Streit unter den Gästen, im Café Suisse stapelt sich das ungewaschene Geschirr, in der dritten Bar schimpfen sie über die Fussballer Frankreichs und Portugals, die an der WM so kläglich versagen. In der nächsten lachen sie über Präsident Chirac, der sein Volk auffordert, für die Rechte zu stimmen. Das einzig offene Hotel mit freiem Bett ist das Hotel Châteaubriant, mit rotem Plüsch tapeziert.
Schöne Bretagne, doch irgendwie scheint das den Leuten egal zu sein.
(Châteaubriant, 5. Juni 2002)