Das Verhüllungsverbot im Kanton Tessin kann nach Ansicht des Bundesrates bundesrechtskonform ausgelegt werden. Der Bundesrat beantragt dem Parlament, diese und andere Änderungen von Kantonsverfassungen zu gewährleisten.
Der Kanton Tessin will als erster Kanton der Schweiz das Tragen von Gesichtsschleiern in der Öffentlichkeit verbieten. Das Stimmvolk hatte vor rund einem Jahr einer Initiative zugestimmt. Die neue Bestimmung in der Tessiner Kantonsverfassung verbietet es, sein Gesicht im öffentlichen Raum und an allgemein zugänglichen Orten zu verhüllen.
Sie richtet sich gegen religiös motivierte Gesichtsverhüllungen sowie gegen Vermummungen an Demonstrationen. Bevor das Verbot in Kraft treten kann, müssen die eidgenössischen Räte beurteilen, ob es mit der Bundesverfassung vereinbar ist. Aus Sicht des Bundesrates ist dies der Fall.
Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs
Der Bundesrat beruft sich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Die Bestimmung in der Tessiner Verfassung lehne sich eng an ein französisches Gesetz an, das gemäss dem Urteil mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar sei, schreibt er in einer Mitteilung.
Die von der EMRK geschützten Grundrechte, namentlich die Religionsfreiheit und das Diskriminierungsverbot, deckten sich weitgehend mit den von der Bundesverfassung garantierten Grundrechten.
Ausnahmen möglich
Da die Regelungen und die Rechtsgrundlagen vergleichbar sind, kommt der Bundesrat zum Schluss, dass die Tessiner Kantonsverfassung bundesrechtskonform ausgelegt werden kann. Ein weiterer Grund ist, dass die neuen Bestimmungen in der Tessiner Verfassung den Gesetzgeber ermächtigen, Ausnahmen vorzusehen.
Der Bundesrat hält allerdings in seiner Botschaft ans Parlament auch fest, dass er solche Verbote nach wie vor nicht als sinnvoll erachtet. In der Schweiz trügen nur sehr wenige Personen Gesichtsverhüllungen aus religiösen Gründen, gibt er zu bedenken.