Via Capricorn: Freude fürs Herz, Schmerz für die Beine

Auch wenn die Steinböcke sich verzogen haben: Die dreitätige Wanderung im Naturpark Beverin freut das Herz und schmerzt die Beine.

(Bild: Andreas Schneitter)

Auch wenn die Steinböcke sich verzogen haben: Die dreitätige Wanderung im Naturpark Beverin freut das Herz und schmerzt die Beine.

Gross waren die Versprechen, gross die Hoffnung: Die Via Capricorn, ein Rundwanderweg durchs Schamser- und Safiental, führt mitten durch das Revier des Steinbocks. Auf der Route befindet sich die Steinbockkolonie Safien-Rheinwald, die rund 350 Tiere zählen soll.

Eine ganze Menge, wenn man bedenkt, dass vor 150 Jahren das Bündner Wappentier in der Region noch als ausgestorben galt. Ausserdem führt der Steinbockweg mitten durch den Naturpark Beverin, über zwei Pässe, durch Bergdörfer, die im Unterschied zu anderen Alpentälern noch nicht mit Ferienhäusern verbaut wurden, vorbei an kleinen Bergseen und zumindest die ersten beiden Tage entlang des mächtigen wie malerischen Piz Beverin. Gute Route, guter Plan. Doch dann: Nebel.




Wenn der Nebel nicht stört nur schön: die Aussicht im Naturpark Beverin. (Bild: Andreas Schneitter)

Wenigstens ist die Gastronomieszene in der Nacht vor dem Aufstieg ansehnlich. Am Ausgangspunkt Wergenstein, ein auf 1500 Meter an den Hang gebautes Dorf, entscheiden wir uns für die sympathische Pension Muntanella mit ihren wärmenden Holzzimmern und der engagierten Bewirtung durch die Patronin. Das Hotel Capricorns, zu Hause im regionalen «Steinbock-Zentrum» im selben Dorf, sparen wir uns für die Nacht nach der Rückkehr runter nach Wergenstein auf. Der Sauna wegen.

Der erste Tag der Rundwanderung führt, sagt die Karte, über die Alpweiden und Maiensässe hinauf auf den Carnusapass auf 2600 Meter. Nach etwa drei Stunden sind wir oben, wo der Blick über den nahen Piz Beverin beeindruckend sein müsste, sähe man weiter als zwei Meter.

Noch immer von Nebelschwaden umgeben, machen wir uns auf den langen Abstieg, vorbei an einem kleinen Bergsee in der Senke eines Schotterhangs, bis wir langsam die Baumgrenze wieder erreicht haben – und von dort gehts steil runter auf den Glaspass, das obere Ende des Safientals. Als schon fast der Abend hereinbricht, klart endlich die Sicht auf, und die hat einiges zu bieten: Majestätisch glänzt der Piz Beverin in der Abendsonne, pittoresk kleben die vereinzelten Futterställe am sattgrünen Hang. Nur die Steinböcke fehlen noch immer.




Futterställe am sattgrünen Hang. (Bild: Andreas Schneitter)

Im Berggasthaus Beverin auf dem Glaspass, der Scheide zwischen Safiental und Domleschg, erfahren wir von einem Gast, nicht ohne Ironie, den Grund: Das Wappentier erleidet momentan die Jagdsaison. Haben sich wohl alle vor den Flinten verzogen. Die einzigen Steinböcke gibts in der Glasvitrine zu kaufen, geschnitzt aus Holz.

Während der zweite Tag auf einem Höhenweg quer durchs noch immer reichlich unberührte Safiental kaum mehr als ein leichtes Auslaufen ist, gehts als Abschluss noch einmal hoch hinaus, und schon die Flurnamen verheissen Action: der fast senkrechte Aufstieg von Thalkirch auf die Passhöhe der Farcletta digl Lai Grand durchquert den Geröllhang Höllgraben, nichts als kalter und nackter Stein, der einem die Bedeutung der Trittsicherheit vor Augen führt, doch einmal mehr entschädigt die Ankunft oben für die brennenden Waden: Von dort oben, auf 2659 Metern, scheidet sich der Berg in die Abstiege nach Sufers in der Suvretta, zurück ins Safiental, oder nach Nordosten zum Ausgangspunkt Wergenstein.




Majästetisch: der Piz Beverin. (Bild: Andreas Schneitter)

Der Weg ist noch lang, aber dennoch lohnt es sich, bei Wind unter strahlender Sonne die letzten Krümel Studentenfutter zu verdrücken: Einen Blick wie denjenigen hinauf zu den steilen und kantigen Grauhörnern kriegt man selten zu sehen. Da sieht man drüber hinweg, dass die ersten Hörner, die wir auf der Wanderung durch die Steinbockkolonie erblicken, tatsächlich nur aus Stein sind.

Nach dem letzten Abstieg nach Wergenstein und am Ende einer Tour, die sich über deutlich mehr als die veranschlagten 49 Kilometer hinzog, sehen wir doch noch Wild: auf dem Teller, direkt aus der empfehlenswerten Hotel Capricorns in Wergenstein. Der Rest ist Sauna.

  • Ausspannen: Hotel Capricorns, Wergenstein: Terrasse mit Aussicht, respektable Bibliothek, gute Küche, Kulturprogramm – und Sauna.
  • Anschauen: Auf dem Weg nach Wergenstein fährt man an Zillis vorbei. Die biblischen Bildtafeln aus dem 12. Jahrhundert an der Decke der Kirche St. Martin sind einen starren Nacken wert.
  • Aufsteigen: Für einen Tagestrip sei der spektakulärere Rückwärtsaufstieg empfohlen: von Wergenstein über die Farcletta digl Lai Grand, unten im Safiental per Postauto runter nach Thusis.
  • Anbeissen: Wild. In jeder guten Gaststube der Gegend. Natürlich nur saisongerecht.




Einen starren Nacken wert: Die biblischen Bildtafeln aus dem 12. Jahrhundert an der Decke der Kirche St. Martin in Zillis. (Bild: Andreas Schneitter)

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