Vladimir Petkovic redet seine Mannschaft im Vorfeld der EM-Endrunde stark und will während der Vorbereitung Missverständnisse minimieren. Die Endrunde soll in positiver Erinnerung bleiben.
31 Tage vor dem EM-Start gegen Albanien empfing der Nationalcoach in Lugano zu einem medialen Rendez-vous. An der Via Tesserete, in der wunderbar gelegenen Villa Sassa, liess Petkovic eine ausgewählte Tischrunde an seinen unmittelbaren Plänen für die Endrunde im nächsten Juni in Frankreich teilhaben.
Beim persönlichen Heimspiel im Tessin reflektierte er die jüngere und eher diffuse Vergangenheit. Das gemütliche Espresso-Ambiente im lichtgefluteten Hotelsaal eignete sich gut, ausserhalb der Stresszone Stadion Irritationen zu entkräften: «Vielleicht haben wir uns manchmal auch etwas falsch verstanden.»
Deshalb wird er künftig heikle Themen in italienischer Sprache besprechen. Im Bereich der Kommunikation, so zumindest ist Petkovics Auftritt in seinem Heimatkanton zu interpretieren, will er zeitnah Fortschritte erzielen – auch um Fehltritte wie im März gegen Irland (0:1) und Bosnien-Herzegowina (0:2) künftig besser aufzufangen.
Achtelfinal-Qualifikation nach 180 EM-Minuten
Der Selektionär bemühte sich generell um eine Korrektur der suboptimalen März-Impressionen und versuchte, auf der Charme-Ebene zu punkten. Ihm stand an diesem unappetitlichen Dauerregentag der Sinn in jeglicher Beziehung nach Aufhellungen. Vor der EM will er einen Teil jener Spannungen abbauen, die er in der journalistischen Aufbereitung seiner Amtszeit immer wieder moniert und zur Sprache bringt.
Gegen konstruktive Kritik sei überhaupt nichts einzuwenden, so Petkovic, aber Polemik würden sie nicht benötigen. «Wir brauchen eine positive Grundhaltung.» Dass die wichtigste Voraussetzung für ein wohlwollendes Klima gute Ergebnisse sind, steht aber auch für Petkovic ausser Frage: «Fussball ist Mathematik.»
Seine eigene (Wunsch-)Rechnungsaufgabe hat er bereits gelöst – nach den ersten 180 EM-Minuten soll ihnen die Qualifikation für die Achtelfinals nicht mehr zu nehmen sein. «Dann können wir neue Ziele formulieren und Geschichte schreiben.» Konkrete Vorgaben für die Knock-out-Phase behält er für sich, die Botschaft ist dennoch klar: «Man soll sich in ein paar Jahren daran erinnern, dass wir gute Arbeit geleistet haben.»
Ein gelungenes EM-Projekt hänge nicht nur vom Formstand der Spieler ab, sondern auch von ihrer Fokussierung. Der Coach erwartet, dass jeder seine Sorgen aus dem Kluballtag hinter sich lässt. «Jeder muss sofort abschalten können und sich dann zu 100 Prozent in die Gruppe einbringen, der mentale Zustand muss top sein.»
Er traut seiner Equipe die benötigte Steigerung im wichtigsten Moment der Kampagne zu: «Unsere Mannschaft ist eine Wettkampfmannschaft. Wenn es um etwas geht, ist sie gut.» Mit den Resultaten komme die Moral, ist der Tessiner überzeugt.
Ziemlich sicher ohne Inler
Eine allzu grosse Personal-Debatte wird kaum aufkommen, der Spielraum ist zu begrenzt. Petkovic hat sein EM-Kader zu «90 Prozent oder vielleicht auch mehr» im Kopf. Am kommenden Mittwoch will er eine erste Liste veröffentlichen – mit 27 bis 28 Namen. Geplant ist, dass das Gros am 22. Mai zum knapp zweiwöchigen Vorbereitungs-Camp in der Südschweiz einrückt. Am Tag nach dem vorletzten Test gegen Belgien (28. Mai) in Genf wird Petkovic das endgültige 23er-EM-Kader nominieren.
Mit einer prominenten Absenz ist zu rechnen: Gökhan Inler dürfte den Cut kaum überstehen. Der Mittelfeldspieler, der beim epochalen Meister-Coup von Leicester City in den letzten Monaten kein Faktor mehr war, spielt in den Plänen des Nationalcoachs offenbar keine Rolle.
Die nahezu hoffnungslose Lage Inlers kommentierte Petkovic diplomatisch, ohne den früheren Leader weiter zu isolieren. «Leider hat sich nichts bewegt.» Zum Stillstand des entmachteten Leaders gibt es das schonungslose statistische Dokument: 2016 kam der langjährige SFV-Capitano in der Premier League während keiner Sekunde zum Einsatz.
Sensibilisierung der Klubs
Weil der letzte Spieltag in der Super League aber auf den 25. Mai angesetzt worden ist, zeichnen sich Terminkollisionen ab. Petkovic hofft, sie im Dialog mit den Klubs (Basel, GC und allenfalls YB) zu beseitigen. Er selber wird nicht aktiv: «Das muss in Gesprächen auf höherer Ebene entschieden werden.» Es gehe grundsätzlich darum, die Vereine für die SFV-Anliegen zu sensibilisieren. Sie würden ihrerseits alles unternehmen, «alle von Beginn weg im Boot zu haben».