Welchem Land soll man an der EM in Polen und der Ukraine nun die Daumen drücken, da der Ottmar in Lörrach und der Gökhan im Mittelland bleibt? Wir haben uns einige Gedanken gemacht und präsentieren 15 sehr gute Gründe, warum man unter den 16 Teilnehmern auch als Schweizer problemlos eine Lieblingsmannschaft findet.
Gruppe A
Polen – mit den besten Aussichten auf den Pokal
Lange genug haben gewisse Leute über blöde Witze nach dem Muster «Kaum gestohlen, schon in Polen!» gelacht. Jetzt dämmert allmählich auch ihnen, welch wunderbare Menschen, welch wunderbare Gastgeber die Polen sind, wenn sie nicht gerade einen rassistischen Aussetzer haben. Vielleicht sind sie auch nicht ganz so perfekt wie wir vor vier Jahren, dafür aber möglicherweise ein ganz, ganz, klein bisschen emotionaler, herzlicher. Und viel schlechter als Köbis Männer 2008 werden die Polen auch kaum tschutten. Darum: Alle für Polen. Und obendrauf noch ein letzter, klitzekleiner Polenwitz: Wetten, dass der Pokal in Polen bleibt?
Griechenland – endlich wieder mal ohne Euro-Sorgen
Ein Land mit so vielen Problemen – und vielleicht bald auch ohne Euro. Wäre doch zu bitter, ratzfatz aus gleich zwei Euro-Zonen rauszufliegen. So ein (Griechen-)Land hätte den Euro-Titel doch mehr als verdient. Selbst wenn es vor acht Jahren schon einmal den Topf geholt hat – völlig unverdient, ganz am Rande bemerkt. Warum die Hellenen auch dieses Mal zu den Geheimfavoriten aufs Endspiel am 1. Juli zählen? Ist doch klar: Die wollen so lange wie möglich NICHT nach Hause.
Russland – einfach perfekt (für Nonkonformisten)
Zugegeben, es ist nicht ganz einfach zu erklären, warum man für die Russen sein soll. Ganz besondere persönliche Veranlagungen und Erlebnisse können aber durchaus zur Erkenntnis führen, dass die russische Mannschaft die einzige wahre ist. Unserem Dani Winter zum Beispiel erging es so: «Als ich vor 25 Jahren in die Schweiz eingewandert bin, hatte ich als notorischer Nonkonformist meinen Spass daran, bei Welt- und Europameisterschaft für die Deutschen zu fanen. Was damals noch Mut brauchte, ist heute Mainstream. Jeder Schwoob kann seine Fahne aus dem Fenster hängen und ein Tor von «Schweini» bejubeln, ohne Gewalt fürchten zu müssen. Also bin ich für Russland. Erstens sind meine beiden Pflegebuben Ganz- bzw. Halbrussen. Zweitens haben sie einen Stürmer, der sich Arschawin nennt. Drittens ist für die sonst keiner.»
Tschechien – niemand weint schöner
Im ersten Spiel gegen Goliath-Russland müssen die Tschechen zeigen, dass sie zu Recht mit Griechenland und Polen in der Wundertüten-Gruppe A stecken. Ob Bangen um Milan Baroš oder Jubeln mit Tomáš Rosický – eines steht jedenfalls jetzt schon fest: emotionaler und dramatischer als mit den Tschechen kann Fussball nicht sein! (Wir erinnern uns anno 2004, als Pavel Nedvěd im EM-Halbfinal gegen die Griechen verletzungshalber einen Abgang machen musste – seufz, schluchz). Und wer dann auch noch so wie sie
für ein Fussballwettbüro wirbt, der hat die halbe Menschheit als Fan eh auf sicher. Oder etwa nicht?
Gruppe B
Niederlande – leider nein
Es gäbe genau einen Grund nach den bitteren Erfahrungen vor zwei Jahren wieder für die mal grossen Holländer zu jubeln, genau einen: Van Bommel, diese menschgewordene Unfairness, dieser Antifussballer und Bösewicht darf nicht mehr dabei sein.
Ist er immer noch? Sogar Captain?
In diesem Fall: leider nein.
Dänemark – eine Frage der Solidarität
Voll Dänen, das kennen wir doch noch vom letzten Wochenende, als wir absumpften, an:
a) diesem Hochzeitfest vom Schwager
b) der illegalen Party von Freunden
c) dem Fischessen vom Verein
(mehrere Antworten gültig!)
Wir seien voll Dänen gewesen, das behaupten jedenfalls die anderen, die sich noch daran erinnern können. Wir erinnern uns noch an das Fest, als das dänische Dynamit die EM 1992 gesprengt hat. Herrlich war das. All das schreit nach Solidarität zwischen den beiden grossen Braunationen, die nur der kleine Flecken Erde namens Weissbierland voneinander trennt. Und ausserdem: Ein gewisser Michael Silberbauer, wenn nicht gerade Euro ist bei den Young Boys beschäftigt, hält als einziger Euro-Teilnehmer das Fähnchen der Schweizer Super League hoch. In diesem Sinn: Skål!
Deutschland – einfach sympathisch
Diese Deutschen! Früher waren sie unerbittlich. Brutal erfolgreich auch. Selbst wenn der Gegner für einmal überlegen war, schlugen sie ihn. So wie Torhüter Toni Schumacher, der im WM-Halbfinal 1982 gegen Frankreich den gegnerischen Stürmer Patrick Battiston mit einem gewaltigen Check niederstreckte, so dass dieser mit einer Hirnerschütterung und zwei Zähnen weniger vom Platz getragen werden musste. Nach dem Attentat (französische Version) beziehungsweise unglücklichen Zusammenprall (deutsche Version) war offenbar selbst der Schiedsrichter derart beklommen, dass er Schumacher ungestraft weiterspielen liess. Die Welt sass geschockt vor dem Fernseher. Nur die Deutschen blieben eiskalt, glichen ein 1:3 noch aus und gewannen das Elfmeterschiessen. Wie anders sind die Deutschen heute. Wie viel spielerischer, wie viel sympathischer und so richtig multikulti. Nur ganz so erfolgreich sind sie nicht mehr. Aber, hey, das ist absolut kein Problem. Das macht sie nur noch liebenswürdiger!
Portugal – mehr als nur ein aufgeblasener Geck
Er ist eine Diva, er ist nicht wirklich sympathisch, aber es kann ja nicht die ganze Welt was gegen Cristiano Ronaldo haben.
Gruppe C
Spanien – der Kuss
Weil wir eine WM lang auf diesen Moment gewartet haben:
Auf so viel Leidenschaft wartet man gerne noch einmal bis zum Final.
Italien – auf dieses Land kann man setzen
In Italien ist wieder mal ein (Wett-)Skandal aufgeflogen. Mit Zocken ist jetzt erst mal Schluss. Auch die italienischen Nationalspieler müssen sich nun wohl oder übel ganz aufs eigentliche Spiel konzentrieren. Das wird dem einen oder anderen Buffon zwar komisch vorkommen, dem Team aber guttun, wie die Geschichte lehrt. Wahrscheinlich haben sie die Affäre deshalb vom Zaun gebrochen. Denn sind die Azzurri in skandalumwitterten Zeiten nicht sogar Weltmeister (2006) geworden? Sie werden auch diesmal gut abschneiden. Darauf könnte man vielleicht sogar in der jetzigen Situation noch eine letzte kleine Wette abschliessen. Forza Italia!
Irland – Nein! Und doch: Ja!
Irgendwie schade, haben die Iren jetzt doch noch Ja gesagt, zum europäischen Fiskalpakt. Es hätte besser zu unserem Klischee vom grummligen, ab 10 Uhr morgens Whiskey (mit e!) und Guinness trinkenden Iren in grünen Gummistiefeln gepasst, dieses Nein. Genau so wie ein grosses Nein (in unseren Köpfen) alles ausmacht, was der irische Fussball zu bieten hat. Eine grosse, institutionalisierte Verweigerung, was die knorrigen (die sind alle knorrig, ich schwörs) grossgewachsenen, krummbeinigen, rotgesichtigten und strohhaarigen Männer auf dem Platz schaffen. Kommt hinzu, dass sie einen Trainer haben (den Trapattoni) der wohl das grösste Nein in der Geschichte des Fussballs verkörpert. Ach. Soviel Konservatismus ist es mehr als wert, herzlich unterstützt zu werden.
Kroatien – Balkan auf Schweizerisch
Wenn schon nicht die Schweizer Nationalmannschaft dabei ist, sollte man zumindest einen Schweizer unterstützen. Der beste Grund um an der Euro 2012 für Kroatien zu jubeln, kommt aus der Region: Ivan Rakitic. Er ist in Rheinfelden geboren, kickte erst für den FC Möhlin-Riburg und begeisterte dann beim FC Basel. Natürlich könnte man es ihm böse nehmen, dass er sich nach zahlreichen Einsätzen in den Schweizer U-Nationalmannschaften letztlich doch für die kroatische A-Auswahl entschieden hat. Im Nachhinein scheint er aber eine gute Wahl getroffen zu haben: Er kickt an der Euro, und die Schweizer sind in den Ferien. Apropos: Ein weiterer Grund für Kroatien ist die Begeisterung im Land für den Fussball. Wer den Sommer an der Adria verbringt, dürfte aufregende Tage erleben, wenn die Mannschaft von Slaven Bilic weiterkommt. Ein kühles Karlovacko, ein feines Barbecue und leidenschaftliche Fans – der Fussballsommer in Kroatien könnte gross werden. Die Chancen stehen in der Hammergruppe mit Europa- und Weltmeister Spanien, Italien und Irland zwar schlecht, aber hey: Die Aussenseiter brauchen umso mehr Unterstützung.
Gruppe D
Ukraine – vergiftet
Zugegeben, die Ukraine hat im letzten Testspiel in Ingolstadt gegen die Türkei unterirdisch gespielt. Aber: Trainer Blochin hatte für die blamable Leistung eine sehr gute Erklärung parat.«Meine Spieler sind vergiftet worden», sagte er. Was? Sie halten diese Aussage für unglaubwürdig? Also zumindest für die vielen Anhänger von Verschwörungstheorien gibt es seit der Gift-Nacht von Ingolstadt nur noch eine Mannschaft, die sich wirklich zu unterstützen lohnt: die Ukraine. Scheitern könnte das Team nach überstandener Lebensmittelvergiftung höchstens noch an den Störsendern, die die fiesem Ingolstädter den Spielern wahrscheinlich auch noch verpasst haben, als sich diese gerade übers Bidet bogen. Oder vielleicht kommen ja auch noch die Ausserirdischen und entführen Blochin, weil der so viele gute Ideen hat. Als Ukraine-Fan muss man jedenfalls auf alles gefasst sein. Was gibts Spannenderes?
Schweden – unser Bündnispartner
Die Schweiz will den Schweden Kampfflugzeuge abkaufen und mit ihnen künftig überhaupt enger militärisch kooperieren. Insofern ist es als Schweizer schon fast logisch, unseren natürlichen Partner Schweden zu unterstützen. Alle anderen motzen ja sowieso immer nur über uns! Ausserdem kursierte im Mittelalter das schöne Gerücht, wir Schweizer seien ausgewanderte Schweden. Oder eingewanderte? Alter Schwede!
Frankreich – diesmal sogar auf dem Platz aktiv
Anstatt anständig Fussball zu spielen, protestierten und streikten die Franzosen an der WM. Nun haben sie einen neuen Trainer – und wieder etwas mehr Lust. Dem Vernehmen nach wollen sie sogar alle Spiele anstandslos hinter sich bringen. Nicht selbstverständlich für die ansonsten ganz anständig verdienenden Spieler, die an einer Euro mit vergleichsweise lächerlichen Prämien abgespeist werden. Darum haben die Männer von Laurent Blanc unsere Unterstützung nun mehr als verdient.
England – oder wer sonst hats erfunden?
Klar, einiges spricht mal wieder dagegen, dass die Engländer ausgerechnet heuer abräumen: Es geht ihnen schon gut genug, sie haben im Unterschied zu anderen Ländern (Griechenland! Spanien!) genügend Gründe zum Feiern: Eine eigene Währung. Eine rüstige Thronjubilarin. Ein olympisches Dorf. Und einen neuen Bond in der Pipeline. Ja, sie haben schon so viel, diese Engländer. Aber sollen wir ihnen deshalb eine weitere Krönung vergällen? Nein. Sie sollen sich auch im Fussball die Krone aufsetzen dürfen, immerhin haben sie diesen ja auch erfunden. Wir möchten ja auch nicht, dass – sagen wir mal – der Weissrusse plötzlich besser im Ricola wäre als wir Schweizer. Daher: Ein Hoch auf das Vaterland des Fussballs. Ihre Fanchöre singen wir sowieso schon mit: You’ll Never Walk Alone!