Vom digitalen Schatten zur Persönlichkeit

Review zu „Die Datenfresser – wie Internetfirmen und Staat sich unsere persönlichen Daten einverleiben und wie wir die Kontrolle darüber zurückerlangen“ von Constanze Kurz und Frank Rieger  (2011) // Ich telefoniere, lese und schreibe digital, meine Musik und meine Bilder sind auf einer Festplatte gespeichert, der Grossteil meiner Nachrichten stammt aus einer Online-Quelle. Mein Handy kann […]

Review zu „Die Datenfresser – wie Internetfirmen und Staat sich unsere persönlichen Daten einverleiben und wie wir die Kontrolle darüber zurückerlangen“ von Constanze Kurz und Frank Rieger  (2011) //

Ich telefoniere, lese und schreibe digital, meine Musik und meine Bilder sind auf einer Festplatte gespeichert, der Grossteil meiner Nachrichten stammt aus einer Online-Quelle. Mein Handy kann verraten, wo ich mich gerade befinde, und meine „Freunde“ bei Facebook erfahren wohl doch mehr über meinen Alltag, als mir bewusst ist. Egal, was und wo ich arbeite: es gibt praktisch keine Tätigkeit mehr, die keine Datenspuren hinterlässt. Wir, als digitale Gesellschaft, erzeugen immer mehr Daten, die ausgewertet, analysiert, gefiltert und verarbeitet werden können. Was hat das für Folgen? Mit „Die Datenfresser“ zeigen Constanze Kurz und Frank Rieger, beide Mitglieder des Chaos Computer Clubs, was der Untertitel des Buches verspricht: „wie Internetfirmen und Staat sich unsere persönlichen Daten einverleiben und wie wir die Kontrolle darüber zurückerlangen“.

(Bild: x)

Wovon handelt das Buch? Ob wir wollen oder nicht: unser Leben wird in Bits und Bytes gespeichert. Es gibt praktisch keine Tätigkeit mehr, die keine Datenspuren hinterlässt. Dies nehmen die Autoren zum Anlass den Leser darüber aufzuklären, wer sich wo und wie am „Datensatz Mensch“ – vom Nutzer bewusst oder unbewusst – bedient.

Einige Schlagworte? „digitale Nacktheit“, Datenschutz, Geotags und einmal mehr „das Ende der Privatsphäre“

Was ist eine zentrale These des Buches? Zentral in diesem Buch sind die Daten. Eigene und fremde, und wie wir und andere damit umgehen. Die meisten Dienstleistungen im Internet sind kostenlos. „You can’t compete with free“ lautet die gängige Devise von Google und Co. Und obwohl längst bekannt ist, dass deshalb unsere Nutzerdaten zur neuen Währung des Internets wurden und die Refinanzierung von Gratisdiensten im Internet durch zielgruppengenau geschaltete Werbung gesichert ist, ist es den Autoren ein Anliegen den Leser über die Datenfresser aufzuklären: Thema sind natürlich soziale Netzwerke, Online-Buchhändler, Kundenkarten, Biometrie sowie Bewegungsprofile.

Bewegungsprofile? Die Verwendung von Bewegungsprofilen wird laut den Autoren künftig ein Kernproblem der Netzgesellschaft sein. Wo wir gerade sind und wohin wir als nächstes gehen, ist für uns und unsere Mitmenschen eine wichtige Information: schnelle Google-Maps Abfragen von unterwegs, Ferienbilder auf Facebook und Flickr, Geo-Taging sowie viele weitere Services, die uns verraten, in welcher Bar sich Freunde gerade treffen oder ob wir auf dem Heimweg mit Stau oder Blitzern zu rechnen haben, sind kaum noch aus unserem Alltag wegzudenken. Je mehr solche Bewegungsdaten aus den verschiedenen Quellen verfügbar sind und zusammengetragen werden, desto besser lassen sich Abweichungen unseres Alltages erkennen. Das alles sind Daten, die wir immerhin noch freiwillig öffentlich machen. Im Gegensatz zu beispielsweise den Bewegungsdaten des eigenen Handys.

Was mich stört: Leser, die sich mit der Thematik bereits befasst haben, werden enttäuscht sein. Das Buch richtet sich an einen Leser, der bisher wenig über „die Datenfresser“ wusste und klärt diesen darüber auf, wie teuer ‚kostenlos’ in Wahrheit tatsächlich ist und was es mit dem oft beschworenen „Ende der Privatsphäre“ auf sich hat.

Warum empfehle ich es trotzdem? Weil es sich als guter Einstieg in die Thematik der persönlichen Datensicherheit im Internet eignet. Es vermittelt in einfacher Sprache und an anschaulichen Beispielen, wo wir welche Datenspuren hinterlassen und wohin dies möglicherweise führt. Es enthält hilfreiche und zumindest im Moment noch aktuelle Tipps zu Passwörtern, Anonymität und Gastfreundschaft in sozialen Netzwerken. Positiv sehe ich weiter, dass es den Autoren gelingt, deutlich zu machen, dass wir mit geteilten Informationen dem Staat und vielen anderen privaten Unternehmen sehr viel Macht abtreten. Diese Datenfreizügigkeit bedeutet Vorhersagbarkeit, Kontrollierbarkeit und normierender Anpassungsdruck. Was wir heute zulassen und ablehnen, bestimmt die Zukunft.

Woran es mich erinnert: Über Daten haben wir auch hier im Mewi-Blog bereits gesprochen. Ich empfehle:
Roberto Simanowski: The Net Delusion: The Dark Side of Internet Freedom
Manuel Thomas: Requiem für die Demokratie
und natürlich auch die Rezension zu Delete. Die Tugend des Vergessens in digitalen Zeiten

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