Grösser als vor dem letzten Frauen-Rennen an der WM in Lahti ist die Erwartungshaltung gegenüber Nathalie von Siebenthal noch nie gewesen. Heute (13.30 Uhr) startet die Bernerin über 30 km Skating.
Immer dann, wenn die ganz wichtigen Rennen eines Winters für sie anstehen, realisiert Nathalie von Siebenthal die besten Ergebnisse. Das war im Januar 2015 in Almaty so, als sie U23-Weltmeisterin im Skiathlon wurde. Wenig später verblüffte sie an der Elite-WM in Falun als Sechste über 10 km. In diesem Winter nun stellte sie beim Heimrennen in Davos mit Rang 6 ein persönliches Bestresultat im Weltcup auf, die Tour de Ski beendete sie keinen Monat später als Achte so gut wie keine Schweizerin zuvor.
Seit vergangenem Samstag und ihrem 4. WM-Rang im Skiathlon ist Von Siebenthal endgültig nachhaltig auf dem Radar der internationalen Langlauf-Konkurrenz aufgetaucht. «Man wird sie künftig in den Rennen im Auge behalten», ist der Schweizer Teammanager Christian Flury überzeugt. Von Siebenthals Standing im Feld sei zusätzlich gestärkt worden. Vorab auf den zweiten 7,5 km, die in der freien Technik zu absolvieren waren, zeigte die 23-jährige Schweizerin eine starke Leistung. Auf den letzten Metern offenbarte sie zudem bislang unbekannte Sprint-Fähigkeiten. Nun folgt zum Abschluss der Weltmeisterschaften in Südfinnland jener Wettkampf, der besonders auf sie zugeschnitten sein sollte: ein Massenstart-Rennen in der Skating-Technik.
Körpergewicht als Vorteil
«Sie ist in der obersten Liga angekommen. Für mich gehört Nathalie nun zur erweiterten Weltspitze, zu den Läuferinnen im erweiterten Favoritenkreis», sagt Hippolyt Kempf über das Ausnahmetalent im hiesigen Frauen-Langlauf. Nicht nur für den Schweizer Disziplinenchef gehört Von Siebenthal zu denjenigen Athletinnen, die bei günstiger Konstellation im 30-km-Rennen um die Medaillen kämpfen werden. «Ob es dann reicht, ist eine andere Geschichte», so Kempf.
Von Siebenthal hofft, dass die Strecke rund um das Fussballstadion in Lahti im Vergleich zu den vergangenen Tagen wieder etwas kompakter wird – dies behagt ihr mehr. Der hügelige Parcours entspricht ihr aber so oder so. Ihr im Vergleich zur Konkurrenz geringeres Körpergewicht (50 kg) wird für Von Siebenthal «ein grosser Vorteil» sein, wie Albert Manhart sagt. Der Schweizer Nationalcoach nennt drei Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit Von Siebenthal um einen Podestplatz mitkämpfen kann: die Form muss stimmen, das Skimaterial muss hundertprozentig passen, und es muss sich eine günstige Rennkonstellation ergeben.
Erwartet wird, dass die Topfavoritin Marit Björgen schon früh ein sehr hohes Tempo anschlagen wird. Die eine oder andere Läuferin wird dann möglicherweise versuchen, an der 17-fachen Weltmeisterin dranzubleiben. Doch dies kann auch gefährlich sein, wie der Einbruch Heidi Wengs vor einer Woche im Skiathlon gezeigt hat.
Glück und Cleverness
Was also tun? Selbst auch mal angreifen? Oder doch versuchen, mit Björgen mitzugehen? Von Siebenthal winkt ab. Als ihre Referenz nennt sie andere Langläuferinnen, beispielsweise die Österreicherin Teresa Stadlober oder die Deutsche Nicole Fessel. «Wenn ich es unter die ersten zehn schaffe, ist dies ein sehr gutes Resultat. Bei einem Exploit ist vielleicht nochmals der Gewinn eines Diploms (Top 6 – Red.) möglich.»
Um in der optimalen Gruppe Unterschlupf zu finden, braucht es das nötige Glück und die richtige Cleverness. «Interessant wäre es, auf dem Niveau einer Jessica Diggins laufen zu können. Dann ist man in der Regel bei der Entscheidung dabei», so Manhart.