Die Folgen des Diesel-Skandals bei Volkswagen kommen für Zehntausende Bürger an VW-Standorten in der eigenen Kasse an. Wegen der oft massiv einbrechenden Gewerbesteuern drehen betroffene Städte teils heftig an ihren Gebührenschrauben.
Dies zeigt eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur. Damit verteuert sich der Alltag für viele Bürger merklich. Es steigen die Gebühren von der Hafenstadt Emden – dort baut VW den Passat – bis ins kleine Weissach in Baden-Württemberg – da forscht die Konzerntochter Porsche.
Die Beispielliste für die Sparbemühungen ist lang. Sie reicht von höheren Kosten bei Kinderbetreuung, Parken, Gräbern, Bädern oder der Hundesteuer über gestrichene Stellen in der Verwaltung bis hin zu Einschnitten in der Kulturförderung.
Im September 2015 war aufgeflogen, dass weltweit rund elf Millionen Diesel aus dem VW-Konzern eine manipulierte Motorsoftware haben. Die Motorsteuerung gaukelt bei Behördentests gute Abgaswerte vor – doch ausserhalb des Prüfstandes stossen die Wagen ein Vielfaches aus. Als Folge des Skandals stürzte VW in die grösste Krise seiner rund 80-jährigen Geschichte.
Höchster Verlust
2015 gab es mit minus 1,6 Milliarden Euro den bisher höchsten Verlust. 2014 hatte noch ein Gewinn von knapp 11 Milliarden Euro in den Büchern gestanden.
Auch die VW-Standorte leiden. Allein 28 Fabriken, die Teile oder Fahrzeuge produzieren, zählt der Konzern in Deutschland. Sie reichen von Hamburg bis München, von Oberhausen bis Dresden.
Zu seinen Gewerbesteuerzahlungen macht der VW-Konzern keine Angaben. Es sei aber Fakt, dass sie rückläufig sind, heisst es aus dem Konzern. Grobe Anhaltspunkte gibt die Bilanz: 2014 flossen gut 2 Milliarden Euro «tatsächlicher Steueraufwand Inland». Für 2015, als die Krise im Spätsommer losbrach, sind es nur noch rund 800 Millionen Euro.
Viele Facetten
Die wegbrechenden Gewerbesteuern haben viele Facetten. Sie treffen die VW-Konzern-Städte unterschiedlich hart. Als Faustformel gilt: Je kleiner der Standort und je VW-abhängiger er ist, desto dramatischer sind die Ausschläge.
Ein Beispiel aus der VW-Heimat Niedersachsen: Die Stadt Wolfsburg verzeichnete 2015 rund 80 Prozent Einbruch bei den Netto-Gewerbesteuereinzahlungen – das ist der Teil, der nach einer Umlage bei den Gemeinden verbleibt. Statt 253 Millionen Euro wie 2014 blieben nun keine 52 Millionen Euro mehr übrig. In Wolfsburg schlägt das Herz des Konzerns; die Stadt beherbergt mit dem Stammwerk die weltgrösste Autofabrik – plus Zulieferer. Da das Steuergeheimnis gilt, ist ungewiss, wie viel der Einbruch nun genau mit VW zu tun hat.
Aber die Stadt schreibt selber im eigenen Haushaltsplan 2016: „Die Abgasmanipulation und die veränderten CO2-Werte bedingen im VW-Konzern hohe Kosten für Rückruf- und Umrüstungsaktionen. Wie stark Prozesskosten, Schadensersatzforderungen und gegebenenfalls sinkende Verkaufszahlen das Ergebnis 2016 zusätzlich belasten werden, ist schwer zu beziffern.
Weitere erforderliche hohe ergebniswirksame Rückstellungen würden den Gewinn gegebenenfalls auch nachhaltig schmälern. Und daher scheint eines sicher: Die Gewerbesteuer wird nicht mehr so stark fliessen wie in den Vorjahren. Der Ansatz für den Haushaltsplan 2016 ist folglich stark reduziert worden.“
Auch von 2017 an sei «nach bisheriger Erkenntnislage von weiter sinkenden Gewerbesteuererträgen auszugehen». Daher spart Wolfsburg, denn im Haushalt gilt es, ein Loch von 45 Millionen Euro zu stopfen.
Auch weitere VW-Städte leiden. Die Netto-Gewerbesteuern 2015 sanken in Salzgitter um ein Drittel, in Osnabrück um 22 Prozent und in Braunschweig um 13 Prozent.
Im Südwesten trifft es den Porsche-Entwicklungsstandort Weissach: Nach noch fast 40 Millionen Euro im vergangenen Jahr rechnet die Gemeinde für 2016 nur noch mit Gewerbesteuereinnahmen von 1,5 Millionen Euro – wegen des Komplettausfalls der VW-Gewerbesteuern.
Subventionen fallen weg
Das bleibt nicht ohne Folgen. Grosszügige Subventionen, die Weissach den Bürgern früher gewähren konnte, entfallen. Das Baukindergeld für Familien wurde gestrichen – 5000 Euro je Kind gab es einmal. Eine Urnenbestattung in der Erde kostet statt bisher 145 nun 420 Euro.
Der Diesel-Skandal bedeutet auch für die Audi-Stadt Ingolstadt das Ende der fetten Jahre. «Wir gehen davon aus, dass wir bis 2020 weniger Gewerbesteuer bekommen», sagte der Leiter der Kämmerei, Franz Fleckinger. In den nächsten Jahren rechne er nur noch mit 60 Prozent des langjährigen Schnitts. «Aber wir kommen mit 60, 70 Millionen Euro nicht hin.» Deshalb werde die fast schuldenfreie Stadt wohl bald ihr inzwischen fast 300 Millionen Euro dickes Finanzpolster angreifen.
Das Abgas-Drama trifft auch einige kommunale Haushalte in Sachsen: So mussten in Chemnitz, einem der drei sächsischen VW-Standorte, die geplanten 109,2 Millionen Euro an Gewerbesteuereinnahmen für 2015 im Nachhinein deutlich nach unten korrigiert werden – auf 99,2 Millionen Euro.
Zumindest bei grösseren Städten mit vielen wichtigen Unternehmen gibt es meist eine Balance. Hannover ist ein Beispiel. Die Fabrik für die leichten VW-Nutzfahrzeuge ist zwar grösster industrieller Arbeitgeber in der niedersächsischen Landeshauptstadt. Aber mit Unternehmen wie dem Konzern Continental oder dem Versicherungsriesen Talanx gibt es dort etliche Adressen für einen Ausgleich der Steuerwaage.