Die Ermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA werfen Russland staatlich gesteuertes Doping vor.
Die WADA-Ermittler sind sich sicher: Russland betreibt staatlich organisiertes Doping. Was das für die russischen Sportler und den Start bei Olympia in drei Wochen bedeutet, ist noch offen.
Der in Toronto vorgelegte 97-seitige Untersuchungsbericht führe zahlreiche gravierende Belege für die Verwicklung von staatlichen Stellen in den Sportbetrug auf, sagte WADA-Chefermittler Richard McLaren. Darin sei etwa das russische Sportministerium verwickelt. So seien im Moskauer Anti-Dopinglabor über Jahre hinweg positive Proben verschwunden, um gedopte russische Athleten zu schützen.
Den Stein ins Rollen hatte Grigori Rodschenkow gebracht. Der in die USA geflüchtete frühere Chef des Moskauer Labors hatte im Mai berichtet, bei den Winterspielen vor zwei Jahren in Sotschi seien hunderte Dopingproben ausgetauscht und manipuliert worden. 15 der 33 russischen Medaillengewinner sollen positiv getestet worden sein.
Das russische Sportministerium habe die Manipulationen «geleitet, kontrolliert und überwacht», sagte McLaren. Auch der russische Inlandsgeheimdienst FSB und das Trainingszentrum der russischen Top-Athleten seien an den massiven Betrügereien aktiv beteiligt gewesen. Eine Empfehlung der WADA-Ermittler für Sanktionen gegen russische Sportler, Verbände oder gar einen Komplettausschluss Russlands gab es drei Wochen vor der Eröffnung der Olympischen Sommerspiele allerdings zunächst nicht.
Gedecktes Doping erwiesen
McLaren betonte, dass die Untersuchung unabhängig und transparent abgelaufen sei. Der Kanadier war von der WADA mit der Untersuchung betraut worden. Er gehörte bereits der unabhängigen WADA-Kommission an, die ein flächendeckendes Dopingsystem in der russischen Leichtathletik nachgewiesen hat.
Die Ermittler sehen es nach den Ermittlungen als erwiesen an, dass im russischen Spitzensport von Moskau gedecktes Doping betrieben wird. Es seien tausende Daten und Dokumente ausgewertet worden, auch gelöschte Dateien seien wiederhergestellt worden, sagte McLaren.
Das Doping-Beben bringt vor allem das Internationale Olympische Komitee IOC knapp drei Wochen vor der Eröffnungsfeier der Sommerspiele in Rio de Janeiro arg in die Bredouille.
Komplettausschluss unwahrscheinlich
Auch IOC-Präsident Thomas Bach will zwar «null Toleranz» gegenüber gedopten Sportlern, hatte aber etwa einen Komplett-Ausschluss Russlands bislang abgelehnt. Der Deutsche hatte vor der Veröffentlichung des Berichts gesagt, das IOC müsse die richtige Balance zwischen kollektiver Verantwortung und individueller Gerechtigkeit finden. «Es ist offensichtlich, dass man einen Badminton-Spieler nicht für Manipulationen eines Offiziellen oder eines Laborleiters bestrafen kann. Jeder, der nicht involviert war, kann nicht für das Fehlverhalten anderer bestraft werden.» Damit ist ein Komplettausschluss unwahrscheinlich.
Bereits am Dienstag wird die IOC-Exekutive zu einer Telefonkonferenz einberufen. Das Gremium wird vorläufige Massnahmen und Sanktionen im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Rio besprechen.
Der Welt-Turnverband FIG betonte kurz vor der Veröffentlichung, dass nicht alle russischen Athleten gesperrt werden dürften. Sportler dürften nicht für Vergehen von Athleten anderer Sportarten und Verbänden für schuldig befunden werden, heisst es in einer Erklärung. Formell müssten die internationalen Sportverbände in jeder Sportart einen Entscheid treffen. In der Leichtathletik hat der Weltverband IAAF bereits die russischen Athleten von den Olympischen Spielen in Rio ausgeschlossen.
Die WADA selbst gab sieben Empfehlungen ab, welche Schlüsse aus dem McLaren-Report gezogen werden müssten. In Punkt 1 steht: «Das Internationale Olympische Komitee (IOC) und das Internationale Paralympische Komitee (IPC) sollen in Erwägung ziehen, gemäss ihren Regularien allen Athleten des Russischen Olympischen Komitees (ROC) und des Russischen Paralympischen Komitees die Teilnahme an Rio 2016 zu verweigern.»
Russland empört
Russland hatte bereits vor der Veröffentlichung des WADA-Berichts empört auf Forderungen nach einem kompletten Ausschluss reagiert. Ein Moskauer Sportpolitiker forderte eine Haftstrafe für den Whistleblower Rodschenkow. «Internationale Organisationen glauben Verleumdern und Schurken wie Rodschenkow, der erklärt hat, selbst (Doping-)Proben ausgetauscht zu haben», sagte der Vorsitzende des Sportausschusses im Parlament, Dmitri Swischtschjow, der Agentur Tass. «Er sollte festgenommen und an unsere Justiz ausgeliefert werden», forderte Swischtschjow am Montag.
Wladimir Putin kündigte bereits Massnahmen an. «Funktionäre, die in dem Bericht als direkt Beteiligte genannt werden, sollen bis zum Ende der Untersuchungen suspendiert werden», teilte der Kremlchef mit.