Das gute alte Wahlplakat hat ausgedient. Doch das neue schlechte kursiert auf allen digitalen Kanälen. Schuld sind Werbestrategen mit einer Schwäche fürs Lächeln.
Zur Zeit ist es unmöglich, diesen lächelnden Fratzen zu entrinnen, die von allen Plakatwänden dieser Stadt herunterposieren. Mit allen erdenklichen und auch den plumpsten Effekten möchten die Parteien unsere Stimmabgabe beeinflussen. Da wird geschminkt, gestylt, gephotoshopt. Parteifarbe drauf, Logo gross und eine Botschaft in fetten Buchstaben, möglichst eingängig (frei bleiben), einfach verständlich (in den Nationalrat), anbiedernd oder irgendwie lustig (antigrau).
Obwohl das Plakat stetig an Bedeutung verliert, wird es von den Parteistrategen im Medienmix sehr bewusst eingesetzt. Denn auch wenn es dem Plakat kaum gelingt, Einfluss darauf zu nehmen, wen die Wähler auf ihre Zettel schreiben, so bringt es diese immerhin dazu, daran zu denken: Das Kuvert muss bald auf die Post.
Dufte Plakate
Wenn die Kreativabteilungen in den Werbeagenturen Wahlplakate gestalten müssen, nennt das keiner so: «Fleischkäse montieren» heisst das im Fachjargon. Da müssen hautfarbige Gesichter, manchmal glänzend (Anita Fetz, SP), mit Weichzeichner fotografiert (Grünliberale) oder gar ungeschminkt und freigestellt (Sebastian Frehner, SVP) arrangiert werden. Auch der Hintergrund ist wichtig: Bürgerliche wählen am liebsten ein Bürogebäude mit Glasfassade, eine unscharfe Stadt bei Abenddämmerung à la Late Night Show (LDP) oder, wenns sein muss, irgendetwas mit inländischer Natur. Dann noch irgendwo die Lettern B-I-S-H-E-R fett draufpappen – und gut ists.
Mehr Mühe in ein Plakat stecken riecht ja auch nach Zeitverschwendung. Wer schaut denn noch zu den Wahlplakaten hoch, heute, wo unser aller Blick unentwegt auf dem Smartphone-Bildschirm klebt?
Gut, etwas Aufwand lohnt sich halt doch noch. Immerhin kann «montierter Fleischkäse» auch auf Facebook & Co. eine Duftmarke setzen. Und was für eine! Dort lässt sich endlich der «Impact» vernünftig messen. Online macht es sofort klick, wenn die Zielgruppe auf ein Banner oder ein Kandidatenfilmchen anspringt – und schon ist der Wahlausgang so gut wie vorausgesagt.
In den wilden Sechzigern gezähmt
Schaut man alte Wahlplakate aus dem frühen 20. Jahrhundert an, fällt vor allem eines auf: Es fehlt an Gesichtern. Dafür sind die Parolen und Namen auf einfache Art und Weise gesetzt. Man kann davon ausgehen, dass damals noch kein erbarmungsloser Kampf um Aufmerksamkeit herrschte. Zwar gab es durchaus Reklame, aber nicht an jedem denkbaren Plätzchen. Vielleicht interessierte sich das Publikum damals tatsächlich noch mehr für Botschaften, weniger für Gesichter.
Wie dem auch sei: Die Plakate waren damals noch Propaganda und weniger Werbung. Und sie hingen über einer viel einfacher gegliederten politischen Landschaft: Faschisten versus Kommunisten. Ein Killerargument an den Kopf des Gegners, und dann rein in den Topf der einen oder anderen Ideologie! Alles schön gestaltet und mit Liebe zubereitet. Und das zog.
Man arbeitete mit den Symbolen der Zeit: Fäuste, Fahnen, rote Farben auf der einen Seite – Ungeziefer, Ratten und anderes Getier mit üblem Image auf der anderen. Der Kreativität waren keine Grenzen gesetzt.
In den Sechzigerjahren war damit Schluss. Die Werbestrategen setzten jetzt auf Schlagworte wie: «Emotionalisierung einer Botschaft» oder «Aufbau der Identifikationsfiguren». Also mussten die Kandidaten aufs grosse Papier. Als netter Nachbar, als netter Schwiegersohn oder – wenn man in Gottes Namen nun mal ganz und gar unmöglich aussieht – als die uns alle rettende Vaterfigur.
Man darf sich freuen!
Vor lauter lächelnden Fratzen mögen Sie sich jetzt gelegentlich die guten alten Plakatzeiten herbeisehnen. Doch melancholisch zu werden brauchen Sie deswegen nicht. Es gibt Hoffnung! Freuen Sie sich einfach auf die nächsten Abstimmungen. Für deren Kampagnen setzen die Werbegrafiker nämlich nach wie vor auf gutes altes Handwerk. Und nur selten auf Köpfchen.