Wahnsinn, Obsession und Menschlichkeit: Polanski wird 80

Roman Polanski feiert seinen 80. Geburstag. Das Leben des Regisseurs war von Traumata geprägt und in jüngster Zeit durch seine Verhaftung in der Schweiz überschattet. Bleiben werden jedoch seine Meisterwerke in der Filmgeschichte. In einem Leben, das von einschneidenden Traumata gekennzeichnend ist, hat Roman Polanski das 80. Jahr erreicht. In Paris 1933 geboren, erwartete den […]

Ein Regisseur, der sich 50 Jahre lang reingekniet hat: Roman Polanski.

Roman Polanski feiert seinen 80. Geburstag. Das Leben des Regisseurs war von Traumata geprägt und in jüngster Zeit durch seine Verhaftung in der Schweiz überschattet. Bleiben werden jedoch seine Meisterwerke in der Filmgeschichte.

In einem Leben, das von einschneidenden Traumata gekennzeichnend ist, hat Roman Polanski das 80. Jahr erreicht. In Paris 1933 geboren, erwartete den Enkel jüdischer Grosseltern eine tragische Kindheit. Seine Eltern zogen 1936 aufgrund des als bedrohlich empfundenen Antisemitismus in Frankreich zurück nach Krakau, die Heimatstadt des Vaters. Drei Jahre später sollte Hitler dort einfallen. Roman Polanski verlor einen Grossteil seiner Familie an den Holocaust und war die letzten Kriegsjahre, nach Auflösung des Krakauer Ghettos 1943, auf sich alleine gestellt. Da war er zehn Jahre alt.

Das zweite Trauma ereilte ihn im August 1969, als er in London von der Ermordung seiner hochschwangeren Ehefrau Sharon Tate und dreier Freunde in ihrem Haus durch die Sekte von Charles Manson erfuhr. Das dritte einschneidende Ereignis sollte schliesslich seine Reputation dauerhaft behaften: 1977 wurde er angeklagt, eine Minderjährige mit Drogen gefügig gemacht und vergewaltigt zu haben.

Polanski floh nach Paris, um einer Verurteilung in den USA zu entgehen, und filmte fortan von Europa aus weiter. Den Oscar, den er 2002 für «Der Pianist» erhielt, konnte er nicht abholen. Tiefpunkt bedeutete schliesslich die Verhaftung in der Schweiz im September 2009, als er am Zurich Film Festival für sein Lebenswerk ausgezeichnet werden sollte. Der Haftbefehl, 32 Jahre vorher ausgestellt, war noch immer gültig, Polanski konnte aber einer Auslieferung entgehen.

Das Klaustrophobische wie das Exzessive sind Grundthemen in seinen Filmen, und es deutet einiges darauf hin, dass sich darin Erfahrungen seines Lebens spiegeln. Die TagesWoche stellt anlässlich seines 80. Geburtstags sieben Meisterwerke vor.

1. Repulsion (1965)

In seinem ersten englischsprachigen Film lässt Polanski die junge Catherine Deneuve als Maniküristin Hélène in einer Londoner Mietwohnung langsam in den Wahnsinn abgleiten. Am Ende liegen zwei Leichen in der Wohnung, und Hélène verkriecht sich vor ihren Wahnvorstellungen unter dem Bett. Faden des Filmes, in dem die subtilen Zeichen  des Psycho-Horrors aus Polanskis späterem Werk bereits sichtbar werden, bildet die Abscheu Hélènes vor der Welt und vor allem vor menschlichen Begegnungen, die schliesslich in gewalttätige Paranoia umschlägt, aber in der Schlussszene des Films wird das tiefer gelegene Motiv sichtbar: Traumata aus der Kindheit, die später im Leben Psychosen, verkümmerte Empathie und die Unfähigkeit, sich auf Nähe einzulassen, zur Folge haben.


2. Tanz der Vampire (1967)

Polanskis Vampirfilm, mittlerweile auch als Musical aufgeführt, schlägt in seiner Filmographie scheinbar völlig aus der Art: Der Vampirtanz ist gleichermassen eine Hommage an des Hollywood-Gruselkino der Zwanziger und Dreissiger Jahre, an bekannte Mimen wie Bela Lugosi oder – später – Christopher Lee, wie eine Parodie. Auch Polanski lehnt sich schwach an Bram Stokers «Dracula» an, da gibt es den alten Fürst der Untoten, ein verschneites Schloss in den Karpaten, Knoblauchzöpfe, verzauberte Jungfern und jede Menge erotisch aufgeladene Todessehnsucht. Gleichzeitig parodiert Polanski den Vampirfilm aufs Köstlichste, indem er die eingeübten Klischees des Genres auf hanebüchene Weise rezyklyiert und das schablonenhafte Personal – der irre Professor Abronsius, der unbeholfene, furchtsame Gehilfe Alfred (Polanski selbst), der mit steifer Würde umhergeisternde Graf von Krolock – karikiert. Aber «The Fearless Vampire Killers» ist bei allem Humor und Slapstick auch ein dunkler Film, in dem Polanski eine Lebensrolle ausfüllt: die Panik, in einer feindlichen Umgebung zu überleben, die kurzen Blitzer der Menschlichkeit – und der dystopische Schluss, in dem die ahnungslosen Guten selbst das Böse hinaus in die Welt tragen.

3. Rosemary’s Baby (1968)

«Rosemary’s Baby», eine Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Ira Levin, stellte graduell eine Symbiose von «Repulsion» und «The Fearless Vampire Killers» dar – und wurde zu einem Klassiker des Psycho-Horrorfilms. Die Geschichte variiert die christliche Jungfrauengeburt ins Satanische und erzählt eine Episode der Ehe von Guy und Ehefrau Rosemary (eine Rolle, die für Mia Farrow den Durchbruch bedeuten sollte): Das Paar zieht in eine neue Wohnung und wird daraufhin von den älteren Nachbarn, dem Ehepaar Castevet, mit übertriebener Freundlichkeit belästigt. Später stellt sich heraus, dass die Castevets einem Satanskult angehören und Rosemary dazu auserwählt ist, des Teufels Kind zu gebären. Die Verschwörung, der Rosemary erliegt, greift auch auf ihren Arzt und ihren Ehemann über. Wieder beobachtet Polanski eine junge Frau, die in einer bedrohlichen Umgebung langsam dem Wahnsinn entgegen trappt, hier allerdings ist die Bedrohungslage real – und am Ende obsiegt der Mutterinstinkt, als Rosemary das Kind des Teufels – ihr Kind – in die Arme nimmt. «Rosemary’s Baby» ist nicht der letzte Film, in dem sich Polanski mit dem Teufel befasst, mit «The Ninth Gate» schickt er dreissig Jahre später Johnny Depp auf die Spuren von Luzifers handgeschriebenen Büchern. Als Klassiker zurück bleib allerdings nur «Rosemary’s Baby», der zusammen mit «Omen» und «The Exorzist» die Pfeiler des subtilen, psychotischen Horrorfilms dieser Zeit bildete.


4. Chinatown (1974)

In den ersten Jahren nach dem Mord an seiner Frau Sharon Tate verarbeitet Polanski eine blutrünstige und ganz und gar fatalistische Interpretation des Shakespeare-Dramas «Macbeth» und eine bösartige Karikatur bürgerlicher Dekadenz und Sexbesessenheit («Che?»), bis fünf Jahre danach in «Chinatown» wieder ein bekanntes Muster auftaucht: die Verlorenheit des Individuums in einer unheilvollen, bedrohlichen Welt. Jack Nicholson spielt in diesem bemerkenswerten Film Noir den Detektiven Jake Gittes, der einen Auftrag zur Klärung eines Untreueverdachts erhält und schliesslich in eine familiäre Intrige gerät, die mit den mafiösen Strukturen der Wasserversorgungsspekulation in Los Angeles zur Zeit der Great Depression verwoben ist. Nach mehreren Morden und knapp überlebten Anschlägen ist Gittes zwar dem Fall auf der Spur, aber keiner hört ihm zu, keinem kann er trauen. Am Ende eines Films, der dicht erzählt ist und hohe Konzentration erfordert, um der verschachtelten Intrige auf die Spur zu kommen, steht Gittes alleine auf der Strasse, Auge in Auge mit dem Abgrund einer psychisch durch und durch maroden Gesellschaft.


5. Bitter Moon (1992)

«Bitter Moon» ist, was die Brutalität zwischenmenschlicher Beziehungen angeht, Polanskis provokantester und voyeuristischster Film. Er handelt vom Ehepaar Oscar und Mimi (Polanskis zweite Ehefrau Emmanuelle Seigner), er ergraut und querschnittgelähmt im Rollstuhl, sie jung und mit lasziver Kleidung und Gestik. Ihre Geschichte, die Oscar auf einer Kreuzfahrt einem jungen Engländer (Hugh Grant) erzählt, ist eine Liebesgeschichte, deren Passion sich nach den ersten Hochgefühlen nur in gegenseitigen Machtspielen, Verletzungen, Rache und emotionalen Grausamkeiten Bahn verschaffen kann. Um den Film rankten sich viele Vermutungen, wieviel von Polanskis eigener erschütterter Liebesfähigkeit und seiner potenziellen erratischen Perversion in ihm steckt, ansonsten wurde er zur Zeit der Veröffentlichung wegen seines bemühten und etwas steifen Versuchs, Pascal Bruckners sadomasochistisch geprägte Romanvorlage in aufregende Bilder zu übersetzen, belächelt.


6. Death And The Maiden (1994)

Eine Frau, die während der Zeit der Diktatur in einem nicht näher benannten südamerikanischen Land als Oppositionelle von einem Peiniger gefoltert wurde, glaubt ihn Jahre später als Opfer einer Autopanne wieder zu erkennen. Von diesem Szenario ausgehend entwirft Polanski mit seiner Kammerspiel-Verfilmung ein intensives Psychodrama zur Frage von Schuld, Vergeltung und Gerechtigkeit. Die Frau, Paulina (Sigourney Weaver) muss dabei nicht nur ihren Mann, dem sie nur Erinnerungen, aber keine Beweise vorbringen kann, überzeugen und sein Misstrauen überwinden, als auch dem früheren Peiniger (Ben Kingsley) ein Geständnis entlocken, ohne das ihr Verdacht wertlos wäre – mit ähnlichen Mitteln, mit der sie damals misshandelt wurde: Nötigung, Demütigung, Folter. Der Film spielt kaum verdeckt auf die Amnestiegesetze in südamerikanischen Ländern wie Argentinien an, mittels denen nach dem Ende der Militärdiktatur und der eingeleiteten Demokratisierung die Folterer des früheren Regimes straflos davonzukommen schienen.

Mittlerweile wurden in einigen Ländenr die Amnestiegesetze rückwirkend aufgehoben und Gerichtsverfahren eingeleitet. Als «Death And The Maiden» ins Kino kam, schien eine solche rechtsstaatliche Entwicklung in weiter Ferne, und die einzige Möglichkeit, die den Opfern blieb, war inneres Vergessen und Vergeben – oder die Vergeltung mit den Mitteln des Terrors.


7. The Pianist (2002)

Polanski musste fast siebzig Jahre alt werden, bis er sich seiner Kindheitsprägung, der Judenverfolgung und dem Holocaust, filmisch annehmen konnte. Im Unterschied zu seinen früheren Meisterwerken erzählt «The Pianist» mit Adrien Brody in der Rolle des jüdisch-polnischen Pianisten Wladyslaw Szpilman jedoch keine abgründige menschliche Erosion in Wahnsinn und Vergeltung, sondern ist eine Geschichte der Menschlichkeit inmitten des Nazi-Horrors. Szpilman wird, zur Zeit nach dem Aufstand im Warschauer Ghetto, vom deutschen Wehrmachtsoffizier Wilm Hosenfeld versteckt und so vor der Ermordung gerettet. Am Ende sind die Rollen vertauscht: der gerettete Szpilman wird ein gefeierter Konzertpianist und lebt ein langes Leben, Hosenfeld stirbt 1952 verzweifelt und halbseitig gelähmt in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Der Film erzählt eine wahre Geschichte, und es war Szpilmans Sohn Andrzej, der sich stark dafür engagierte, dass Hosenfelds Name – als Offizier der deutschen Wehrmacht – seit 2008 in die «Gerechten unter den Völkern» im israelischen Holocaust-Mahnmal Yad Vashem aufgenommen wurde, der Ehrentitel für alljene, die unter Einsatz ihres Lebens im Zweiten Weltkrieg Juden vor der Vernichtung durch die Nazis gerettet hatten.

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