Der FC Basel mag bald einen neuen Supertrainer haben. Ein altes Problem wird aber auch der nicht lösen können. Ein evolutionstheoretischer Leserkommentar zur Trennung von Urs Fischer.
Seit sich die Spezies Mensch vor mehr als 2,5 Millionen Jahren aus den Primaten entwickelt hat, ist sie drei zentralen Mechanismen gefolgt, die ihr Überleben garantieren.
- Erstens widmet sich der Mensch täglich der Beschaffung von Wasser und Nahrung zur Sicherung seiner körperlichen Funktionsfähigkeit.
- Zweitens strebt er nach der sexuellen Vereinigung mit dem andern Geschlecht, um die Reproduktion der Spezies zu sichern.
- Und drittens knüpft er enge soziale Beziehungen, weil die Herausforderungen der natürlichen Umwelt lange nur zusammen mit andern bewältigt werden konnten.
Zur Absicherung dieser Mechanismen stattete die Evolution den Menschen mit Empfindungen aus. Negativ wahrgenommene Empfindungen wie Durst, Hunger oder Angst garantieren, dass sich der Mensch ausreichend ernährt und sich vor Gefahren in Sicherheit bringt. Positive Empfindungen wiederum wie ein Orgasmus und emotionale Zuwendung sorgen für die notwendigen sexuellen Kontakte und sozialen Bindungen.
Der Durst nach Belohnung
Das Besondere an diesen Empfindungen ist ihre Kurzfristigkeit. Der Hunger vergeht, wenn man sich ernährt, die Lust verliert sich nach dem Orgasmus, und auch die Liebesempfindung ist nicht einfach dauerhaft, sondern flackert immer wieder auf. Diese Kurzfristigkeit ist entscheidend. Wären Hunger und Durst auf ewig gestillt, würden sich die Menschen trotz Gefahren in dauernder Sicherheit wiegen. Würde ein immerwährender Orgasmus jede Lust auf weitere Sexualkontakte verhindern, die Menschheit würde in Kürze aussterben.
Es ist unser Gehirn, das für einen kontinuierlichen Nachschub an positiven und negativen Empfindungen sorgt. Zentral sind dabei die neuronalen Prozesse im limbischen System des Gehirns, auch Belohnungssystem genannt. Hier werden Neurotransmitter wie Dopamin, Serotonin, Oxytocin oder Adrenalin ausgeschüttet. Sie bescheren uns die angenehmen und unangenehmen Empfindungen, welche letztlich das Überleben der Spezies sichern sollen.
Im Belohnungssystem gilt das Prinzip «mehr des Gleichen»: Der Mensch strebt danach, sich angenehme Empfindungen immer wieder zugänglich zu machen, während er unangenehme Empfindungen so konsequent wie möglich loszuwerden oder zu vermeiden sucht.
Natürlich setzen äussere Bedingungen diesem Bestreben ihre Grenzen. Lange Zeit waren diese äusserst eng. In der Steinzeit – und auch lange nach der Einführung von Ackerbau und Viehzucht vor rund 10’000 Jahren – konnten sich die allermeisten Menschen im günstigen Fall gerade mal ihr Überleben sichern. Im ungünstigen Fall sind sie verhungert, wurden Opfer von Kriegen und sonstiger Gewalt. Oder sie erlagen frühzeitig einer übertragbaren Krankheit. Erst seit gut 100 Jahren ist das Gros der Menschheit in der Lage, sich Wünsche zu erfüllen, die weit über die Grundbedürfnisse hinausgehen.
Die Krux mit dem Schönen
Ein Problem dieser Entwicklung: Die genetische Struktur des Menschen, die sich über Jahrmillionen entwickelt hat, konnte sich der kulturellen Entwicklung der letzten 100 Jahre nicht anpassen. Die Menschen treiben daher ihr evolutionär bedingtes Streben nach positiven Empfindungen und der Verhinderung negativer Empfindungen in viel grösserem Ausmass weiter, als dies für das reine Überleben notwendig wäre.
Die engen Grenzen der Bedürfnisbefriedigung von früher haben sich – zumindest in den wohlhabenden Nationen – im Rahmen der kapitalistischen Überflussgesellschaft ins Unermessliche erweitert. Unsere hoch geschätzte Vernunft kann uns augenscheinlich nicht daran hindern, diese Grenzen konsequent auszureizen. Dazu kommen die Gewöhnungseffekte. Besonders bei positiven Empfindungen braucht es in der Regel eine Dosissteigerung, um weiterhin die erwünschte Wirkung zu erzielen.
Noch nie in der Geschichte der Menschheit hatten so grosse Teile der Weltbevölkerung so viele Möglichkeiten, sich positive Empfindungen durch Dosissteigerung selbst zu ermöglichen: mehr und qualitativ besser zu essen, Suchtmittel oder Psychopharmaka zu konsumieren, Verbrauchs- und Luxusgüter zu kaufen, Videospiele zu spielen, sich Information aus allen Teilen der Welt zuzuführen und gegebenenfalls auch den etwas monotonen Ehealltag via Dating-Plattformen aufzufrischen. Aber machen uns diese neuen Möglichkeiten, positive Empfindungen zu generieren, auch langfristig glücklicher?
In der Glücksforschung ist das eine zentrale Frage. Die Antwort ist Nein.
Bis zur Überdosis
Die beeindruckende Steigerung unseres materiellen Wohlstands in den letzten Jahrzehnten hat nicht zu einer nachweisbaren Verbesserung des durchschnittlichen Glücksempfindens geführt. Eher im Gegenteil, wenn man die steigenden Suizidraten in Industrieländern als Massstab nimmt.
Nicht selten führen die Gewöhnungseffekte (wie beim Rauchen oder anderen Suchtmitteln) dazu, dass die positiven Empfindungen weitgehend ausbleiben und die entsprechende Substanz oder Handlung nur noch dazu dient, die negativen Empfindungen in der Form von Entzugserscheinungen zu bewältigen. Weiter führt die ständige Dosissteigerung in unserer Konsum- und Erlebnisgesellschaft zu unangenehmen Nebenwirkungen in Form von Zivilisationskrankheiten und Umweltzerstörung. Und schliesslich fördert die ständige Jagd nach dem Glück Erschöpfung und Frustration, weil das Glück nach dem Erreichen des angestrebten Ziels schnell wieder schwindet.
Nicht zuletzt aus diesem Grund empfiehlt der griechische Philosoph Epikur seinem (wohlhabenden und gebildeten) Publikum, sich glücksförderliche Reize nur sparsam zu gönnen, weil sonst die Qualität des Genusses verloren geht. Noch weiter geht der Buddhismus, der im Streben nach positiven Empfindungen und Glück die wichtigste Ursache für negative Empfindungen und Unglück sieht. Entsprechend empfiehlt Buddha, das Streben nach Glück gänzlich einzustellen und sich ganz auf die Wahrnehmung von positiven und negativen Empfindungen in der Gegenwart zu beschränken.
Gewöhnung führt zu Langeweile
Nun mag man sich fragen, was dies alles mit Fussball, dem FC Basel und der Ersetzung von Trainer Urs Fischer zu tun hat. Die Antwort ist: Mit Fussball schon mal sehr viel.
- Fussball (wie der Spitzensport im Allgemeinen) ist ein Element der globalen Unterhaltungsindustrie, die uns positive Empfindungen verspricht und oft auch beschert.
- Durch die Strukturierung von Fussball in unterschiedliche Wettbewerbe, die sich jedes Jahr wiederholen, wird dieses Erregungspotenzial auf Dauer gestellt.
- Während der Saison kann dieses Erregungspotenzial jedes Wochenende oder sogar zweimal pro Woche aktiviert werden.
- Das Spiel selbst lebt von einem dauernden Versprechen, dass ein Tor fallen könnte.
- Die Möglichkeit einer Niederlage hält den Wert der positiven Empfindung hoch.
- Der Fussball entspricht perfekt den Leistungsidealen der modernen Gesellschaft.
- Und schliesslich hat sich der Fussball in den letzten Jahrzehnten auch optimal in die Mechanismen der kapitalistischen Gesellschaft integriert.
Wie bei andern Phänomenen kann es auch bei all dem zu Gewöhnungseffekten kommen. Womit wir beim FC Basel wären. Wenn Siege und sogar Meistertitel zur Gewohnheit werden, dann verlieren die positiven Empfindungen an Intensität.
Erinnern wir uns an den Meistertitel von 2002 nach mehr als 20 Jahren Titelabstinenz oder an die grossartigen Erfolge in der Champions League. Das Glück, das die FCB-Gemeinde diesen Mai beim achten Meistertitel in Folge empfinden wird, ist mit dieser Überflutung durch positive Empfindungen bei den genannten Erfolgen kaum vergleichbar. Eine gewisse Langeweile kehrt ein. Da diese tendenziell negative Empfindungen mit sich bringt, sucht man nach Steigerungsmöglichkeiten.
Im Vordergrund der aktuellen Diskussion steht die Attraktivität des Spiels, die Tausenden von Experten und potenziellen Fussballtrainern im Stadion wissen, was es dazu braucht. Gewinnen allein reicht nicht mehr; die Siege müssen jetzt auf spektakuläre Art und Weise erspielt werden. Nicht, dass das der FCB-Gemeinde ewiges Glück bescheren würde. Man wird sich auch an Siege mit attraktivem Spiel gewöhnen.
Epikur und Buddha ernster nehmen
Ich muss gestehen, auch ich verspreche mir von einem neuen Trainer einiges. Zudem freue ich mich auf die kommenden Wochen mit spannenden Gerüchten und schliesslich Fakten zum neuen Trainer und dem Kader, das dieser zur Verfügung haben wird.
Andererseits frage ich mich, ob wir Epikur und Buddha nicht ernster nehmen sollten. Vielleicht wäre es klüger gewesen, man hätte Urs Fischer noch einige Jahre Zeit gelassen. Diese Zeit hätte man nutzen können, um das Streben nach neuen fussballerischen Glücksgefühlen im Zaum zu halten und sich darin zu üben, sich an der etwas langweiligen, aber rechtschaffenen Fussballkost unseres Noch-Cheftrainers wieder mehr zu erfreuen.
Sicher hätte dabei geholfen, sich an die Saison 1989/1990 in der Nationalliga B zu erinnern. Dannzumal war ein Erfolg über den FC Bulle noch eine freudige Überraschung, auch wenn der Aufstieg in die Nationalliga A schliesslich knapp verpasst wurde.