Warum Belinda Bencic sich nicht Bettina Benz nennen sollte

Manchmal könnte man Rassisten fast beneiden, weil ihre Welt so einfach ist. Dieser Verlockung des Einfachen dürfe man nicht verfallen, auch nicht im Kampf gegen Rassismus, schreibt PR-Experte Dan Wiener: «Jedes Vorurteil als Rassismus zu geisseln, ist kontraproduktiv.» Wie gerne gehören wir zu den Gerechten, zu den zu Recht Empörten! Und wie gerne wird dann […]

Belinda Bencic, of Switzerland, reacts after her upset victory over Jelena Jankovic, of Serbia, in the fourth round of the 2014 U.S. Open tennis tournament, Sunday, Aug. 31, 2014, in New York. Bencic won 7-6 (6), 6-3.(AP Photo/Elise Amendola)

Manchmal könnte man Rassisten fast beneiden, weil ihre Welt so einfach ist. Dieser Verlockung des Einfachen dürfe man nicht verfallen, auch nicht im Kampf gegen Rassismus, schreibt PR-Experte Dan Wiener: «Jedes Vorurteil als Rassismus zu geisseln, ist kontraproduktiv.»

Wie gerne gehören wir zu den Gerechten, zu den zu Recht Empörten! Und wie gerne wird dann mit besonderer Verve Gleiches mit Gleichem vergolten. So ist es zum Beispiel manchmal schwierig, die militanten Antifaschisten von den Faschisten zu unterscheiden. Ich könnte hier auch Beispiele aus aktuellen Konflikten bringen, wenn ich mir dadurch nicht den handfesten Zorn von allen gegnerischen Parteien gleichzeitig einhandeln würde. Also bringe ich die Vergleiche nicht. Ich habe keine Lust, übel beschimpft zu werden.

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Zurzeit grassieren in den sozialen Medien und in Kommentarspalten aggressive, rechthaberische, beleidigende und zudem zum grössten Teil unzulängliche Statements. Dabei wird oft mit halben Wahrheiten und Gerüchten operiert, mit dümmlichen Vereinfachungen («all you have to know about the Middle East in a cartoon»), mit einseitigen Schuldzuweisungen. Und das alles mit der Inbrunst des Gerechten. Dass eine halbe Wahrheit meist eine dicke Lüge ist, kümmert Rassisten wenig. Will man etwas gegen Rassismus tun, sollte man sich vor solchen Fallen hüten.

Vorurteil – Chauvinismus – Rassismus

Eine Schwierigkeit ist die Tatsache, dass der Übergang von Vorurteilen zu Chauvinismus und von dort zum Rassismus fliessend ist. Nicht jedes Vorurteil ist rassistisch. Wenn ich etwas lerne, oder eine Erfahrung mache, kann ich dieses Wissen nur nutzen, wenn ich es als Muster gespeichert habe und meine Reaktion entsprechend steuere. Irgendeinmal habe ich gelernt, die heisse Herdplatte nicht zu berühren. Und später habe ich gelernt, mich nicht mehr in jede heisse Diskussion einzumischen.

Problematisch wird es, wenn ich aus einer unangenehmen Begegnung mit – sagen wir – einem Mann aus Olten den Schluss ziehe, alle Männer aus Olten seien unangenehm. Oder, wie es noch öfter der Fall ist, dass ich ohne direkte Erfahrung und aufgrund von Gerüchten der Meinung bin, dass Ausländer unsere Arbeitsplätze gefährden, und für die Masseneinwanderungs-Initiative stimme. (In Orten mit geringem Ausländeranteil wurde die Initiative besonders hoch angenommen.)

Nicht jeder Chauvinist ist ein Rassist. Glaubt man gewissen Äusserungen und Fan-Gesängen, haben viele FCB-Fans zwar massive Vorurteile gegenüber FCZ-Fans. Zudem sind sie offenbar aufgrund dieser negativen Vorurteile der Meinung, sie seien viel besser als die FCZ-Fans, was ein Zeichen für Chauvinismus ist. Rassismus ist das noch nicht. Wo aber liegt die Grenze? Diese Abgrenzungen sind schwierig.

Rassismus-Begriff sparsam einsetzen

Wird jedes Vorurteil als Rassismus gegeisselt, schadet das im Grunde dem Bestreben den Rassismus einzudämmen. Ich empfehle sparsam und gezielter mit dem Rassismus-Begriff zu operieren, weil er sich sonst abnützt. Die SVP bewegt sich oft und mit Absicht nah am Rande des Rassismus. Chauvinistisch sind die prominenten Vertreter der Partei allemal. Aber auch auf der anderen Seite zeigte Anita Fetz mit ihrem Postulat, das verlangte, dass Bürger mit ausländischen Namen ihre Namen einfacher an Schweizer Namen anpassen können, überraschenden Chauvinismus: Warum soll sich «Belinda Bencic» auf «Bettina Benz» umgewöhnen? Nur weil es Leute gibt, die ihr wegen ihres Namens keine Lehrstelle geben nach ihrer Tenniskarriere? Müsste man da nicht besser mit den Lehrmeistern arbeiten, damit die ihre Vorurteile revidieren?

Was wäre ein differenzierter und zielführender Weg, den Rassismus einzudämmen?

Die Antirassismus-Strafnorm definiert sehr genau und schlüssig, was Rassismus ist, und ist deshalb sehr wertvoll. Vielen ist das zu wenig. Der Polizist, der eine Person «Drecksasylant» nannte, hat sich (gemäss Gericht) nicht rassistisch geäussert. Trotzdem ist seine Sprache nicht tolerierbar, und ich gehe davon aus, dass ihm das von seinen Vorgesetzten auch klargemacht worden ist. Ohne den Polizisten entschuldigen zu wollen, finde ich Leute, die Polizisten systematisch mit üblen Schimpfwörtern eindecken, nicht besser.

Alle sind überzeugt, auf der richtigen Seite zu stehen. Ein moralisches Recht zu haben, sich zu empören, zu Vereinfachungen, Beschimpfungen und Schuldzuweisungen zu greifen. Ich plädiere dafür, differenzierter einzugreifen, und zwar rechtzeitig, um Vorurteile abzubauen und Chauvinismus blosszustellen.

Wie gesagt, ich mische mich nicht mehr in jede heisse Diskussion ein. Aber wo falsche Vorurteile und Chauvinismus grassieren, melde ich mich zu Wort, wenn ich denke, dass daraus eine fruchtbare Diskussion entstehen kann. Gegen Rassismus wehre ich mich in jedem Fall. Heiss oder nicht. Und zwar mit der Strafnorm. Rassismus ist indiskutabel.

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Dan Wiener ist Kommunikations-Spezialist und Kulturschaffender. Mehr über ihn auf: c-culture.com und heimat-abend.ch

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