Warum das neue Open-Data-Portal der Schweiz Journalisten in die Pflicht nimmt

Die Schweiz hat seit dieser Woche ein Portal mit offenen Behördendaten. Journalisten sollten sich der Entwicklung nicht verschliessen. Der Bund hat vorgelegt. Im Rahmen der Open Knowledge Conference (OKCon) in Genf wurde das Open-Data-Portal des Bundes offiziell lanciert. 1617 Datensätze aus der Bundesverwaltung sind nun zentral verfügbar und können von allen Interessierten heruntergeladen und weiterverwendet […]

Hilfe, die Matrix! Nein, nichts weiter als Datensätze, die alle benutzen können, die nicht reflexartig vor Zahlen zurückschrecken.

Die Schweiz hat seit dieser Woche ein Portal mit offenen Behördendaten. Journalisten sollten sich der Entwicklung nicht verschliessen.

Der Bund hat vorgelegt. Im Rahmen der Open Knowledge Conference (OKCon) in Genf wurde das Open-Data-Portal des Bundes offiziell lanciert. 1617 Datensätze aus der Bundesverwaltung sind nun zentral verfügbar und können von allen Interessierten heruntergeladen und weiterverwendet werden.

Von Bevölkerungsverteilung über Dissertationen an Schweizer Unis bis zur Mandatsverteilung der Ständeräte nach Geschlecht seit 1971 können nun Daten gesucht und genutzt werden, die vorher auf unterschiedlichen Websites verteilt oder gar nicht frei verfügbar waren. Nachdem letzte Woche der Nationalrat dem Open Government Masterplan zugestimmt hat, ist dies nun der zweite grosse Schritt hin zu einer offeneren, transparenteren Verwaltung, beziehungsweise zu einem offeneren Umgang mit Daten, die von öffentlichem Interesse sind. Der Gründer der Open Knowledge Foundation, Rufus Pollock, brachte auf den Punkt, was man sich davon verspricht: «Knowledge is power, open knowledge is empowerment» (frei übersetzt: «Wissen ist Macht, offenes Wissen ermächtigt die Bürger»).

Journalisten sollten nicht nur offene Daten nutzen, sondern sich selber dem Prinzip verpflichten.

Die Schweiz folgt damit dem Vorbild der USA und England, die ein zentrales Datenregister bereits seit 2009, bzw. 2010 unterhalten (eine Pointe zur NSA sparen wir uns an dieser Stelle). Das britische Open-Data-Portal ging damals ebenfalls mit etwas über 1000 Datensätzen an den Start, inzwischen sind es über 10’000, wie Andrew Stott (UK Public Sector Transparency Board) am Montag sagte. Man gehe regelmässig bei den verschiedenen Verwaltungseinheiten vorbei, um «den Baum zu schütteln» und weitere Datensätze verfügbar zu machen. Auf dem amerikanischen Portal sind bereits rund 100’000 Datensätze öffentlich abrufbar.

In der Schweiz betreibt die Stadt Zürich seit Juni 2012 ein eigenes Datenportal, bislang ist das Interesse daran aber eher bescheiden, wie in Gesprächen am Rande der Konferenz zu erfahren war.

Für Journalistinnen und Journalisten ist opendata.admin.ch ein Gewinn. In Datensätzen liegen Geschichten verborgen und das neue Portal macht den Zugang einfacher.

Gleichzeitig sollten Journalisten die Lancierung auch als Verpflichtung sehen, in zweierlei Hinsicht.

Erstens:

Nach wie vor schrecken viele Journalisten bereits vor einer Excel-Tabelle zurück und lassen sich lieber von Experten (und Interessensvertretern) fertige Aussagen servieren, als selber ins Datenmaterial einzutauchen. Datenjournalismus wird als Modeerscheinung abgetan, dabei ist es nichts als Journalismus, der mit Daten arbeitet (die englische Bezeichnung «data-driven journalism» ist insofern präziser).

Alexandra Stark, Studienleiterin an der Journalistenschule MAZ in Luzern, lieferte an der OKCon ernüchternde Zahlen. Acht Datenjournalismus-Kurse hat das MAZ in den letzten drei Jahren ausgeschrieben, nicht mehr als fünf Journalisten interessierten sich dafür, insgesamt wohlgemerkt. Nun ist natürlich das MAZ nicht der einzige Ort, wo man Datenjournalismus lernen kann, und fehlende Nachfrage kann auch mit dem Angebot zu tun haben – trotzdem stimmt es nachdenklich. Es deckt sich durchaus mit meiner eigenen Wahrnehmung, dass vielen Journalisten das Verständnis fehlt, welch grosse Möglichkeiten sich dadurch auftun, dass immer mehr Daten digital verfügbar werden. Es hilft nichts, wenn Datensätze offen im Netz stehen und die meisten Journalisten sie nicht nutzen.

Zweitens:

Open Data liegt eine Haltung zugrunde, die für eine Demokratie zentral ist: Wer sich die Karten schauen lässt, ist glaubwürdiger. Dasselbe gilt für den Journalismus. Und auch hier besteht Nachholbedarf.

Zwar gibt es (wenige) Fälle, in denen Journalisten ihre Quellen schützen müssen. In aller Regel spricht nichts dagegen, die Quellen, die man für eine Geschichte verwendet – seien es Datensätze, Artikel anderer Medien oder Zitate aus sozialen Medien – der Leserschaft zugänglich zu machen. In den meisten Fällen genügt ein simpler Link.

Der Journalist stärkt damit nicht nur die Glaubwürdigkeit der eigenen Arbeit, er ermöglicht das, was in der Wissenschaft zwingend ist: die Reproduzierbarkeit der Resultate. Wie die Statistikerin Victoria Stodden von der Columbia University an der OKCon sagte, verlangen eine zunehmende Zahl renommierter wissenschaftlicher Publikationen von Autoren, dass sie ihre Datensätze öffentlich zugänglich machen. Das amerikanische Pendant zum Nationalfonds knüpft inzwischen die Vergabe von Forschungsgeldern daran (PDF der Präsentation, siehe Seiten 9 und 16).

Es wäre ein interessantes Gedankenexperiment, was geschehen würde, wenn ein Publikumsmedium ebenfalls nur noch Artikel publizieren würde, die diesen Anforderungen gerecht werden. Ein äusserer Zwang sollte aber gar nicht nötig sein. Es liegt im eigenen Interesse der Journalisten, transparenter mit Quellen umzugehen.

Journalisten sollten nicht nur offene Daten, die der Bund bereitstellt, nutzen, sondern sich selber dem Prinzip verpflichten. Für mehr Transparenz, mehr Glaubwürdigkeit, mehr Kooperation.

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