Warum wir uns kleiden, wie wir uns kleiden

Kulturwissenschaftlerin Ulrike Langbein klärt für uns ein paar grundsätzliche Fragen zum Thema Kleider.

Alles ganz anders und doch irgendwie ähnlich: die verschiedenen Kleidungskulturen. (Bild: Anthony Bertschi)

Kulturwissenschaftlerin Ulrike Langbein klärt für uns ein paar grundsätzliche Fragen zum Thema Kleider.

Zwänge, Normen, Verbote. In der orientalischen Welt, aber auch bei uns. Die TagesWoche stellt ein paar grundsätzlichen Fragen zum Thema Kleider. Die Antworten liefert Kulturwissenschaftlerin Ulrike Langbein.

Warum wird das Gesicht ­verschleiert?

Der Kopf ist die exponierteste Teil des Körpers. Er trägt unseren Geist, unsere Sinnesorgane, unser Gehirn. Wahrnehmung, Denken und Fühlen spielen sich hier ab. Und das Gesicht ist der individuellste Ausdruck eines Menschen mit den Augen als Fenster zur Seele. Das kann auch als unheimlich wahrgenommen werden. Gerade im Orient gibt es diese Angst vor dem bösen Blick. Und in allen Kulturen spielt auch das Haar eine ganz spezielle Rolle – als erotischer Lockstoff. Darum mussten verheiratete Frauen auch bei uns früher eine Kopfbedeckung tragen. Mit der Hochzeit brachte man sie unter die Haube, wie man ja heute noch sagt.

Steht die Verschleierung für die Macht des Mannes über die Frau?

Derart exponiert wie in der westlichen Welt wird der Körper in keiner anderen Kultur. Weshalb? Schwierig zu sagen. Vielleicht wegen der Männer. Vielleicht aber auch wegen der Frauen, die in der Öffentlichkeit nicht immer oder von jedem als sexuelles Wesen wahrgenommen werden möchten.

Warum kleidet man sich nicht überall so wie bei uns?

Weil es unterschiedliche Kleidungs­traditionen gibt. Auch in Europa hüllten sich die Menschen lange etwa in eine Tunika ein. Erst nach dem Mittelalter fing man an, die Stoffe auf den Leib zu schneidern. Interessant ist, dass gleichzeitig auch die Kunst das Individuum und den Körper neu entdeckte und darstellte – gegenständlich, mit Porträts. Ganz anders ist die Kleidungs­tradition im Orient. Der Sari, die Tunika oder der Kimono sind Stoffbahnen, die den Körper locker umgeben, verhüllen, aber nicht akzentuieren. Verschleierung und Verhüllung, aber auch das Spiel mit dem Schleier spielen bis heute eine wichtige Rolle. Ein verhüllter Körper nimmt sich stärker zurück, ist weniger sichtbar (bei Männern und Frauen) und deshalb ein Geheimnis. Die Kultur des Geheimnisses steht einer Kultur gegenüber, die den Körper inszeniert. Zudem haben die weiten Gewänder in heissen Gebieten einen praktischen Vorteil: Sie sind luftig.

Inwiefern gibt es auch bei uns ­einen Kleiderzwang?

Es gibt verschiedene Berufsgruppen, die eine Uniform tragen, damit man sie auf den ersten Blick zuordnen kann – Krankenschwestern, Polizisten, Soldaten. Bei diesen Gruppen geht es auch um Macht. Um Hierarchien, die in der Kleidung ganz unterschiedlich wiedergegeben werden. Wir haben heute zwar keine festgefügten Kleiderordnungen mehr; das bedeutet aber nicht, dass alles geht. Wir brauchen die Anweisungen von aussen oft gar nicht mehr, weil wir die Normen verinnerlicht haben: Informelle oder innere Regelwerke geben uns vor, welche Kleidung in welcher Situation geboten ist.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 27.09.13

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