Politik- und Wirtschaftsvertreter mahnen nach der Aufhebung des Mindestkurses zum Euro zum Abwarten, bis sich die Märkte beruhigt haben. Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf zeigt sich überzeugt, dass die Schweizer Wirtschaft den Schritt verkraften wird.
Die Unternehmen seien besser aufgestellt als bei der Einführung des Mindestkurses im September 2011, sagte Widmer-Schlumpf in Interviews mit mehreren Sonntagszeitungen zur Begründung.
Sie zeigte sich zudem zuversichtlich, dass sich der Wechselkurs bei 1.10 Franken pro Euro einpendeln wird. Mit diesem Kurs könnten sich die Schweizer Unternehmen arrangieren. Am Wochenende lag der Kurs leicht über Parität bei ungefähr 1.02 Franken pro Euro. Die Grenze, welche die Schweizerische Nationalbank (SNB) am Donnerstag aufgab, hatte 1.20 Franken pro Euro betragen.
Rezession bei Parität befürchtet
Auf einen Kurs über 1.10 hofft auch Serge Gaillard, Direktor der Eidg. Finanzverwaltung. Sollte der Wechselkurs längere Zeit darunter liegen oder gar bei der Parität verharren, müsste die Schweiz trotz weltwirtschaftlich günstigen Bedingungen «mit einem sehr schwachen Wirtschaftswachstum und steigender Arbeitslosigkeit rechnen», sagte er im Interview mit der Zeitung «Zentralschweiz am Sonntag».
Zu einer Rezession kommt es seiner Ansicht nach aber nur, wenn «der Wechselkurs längerfristig bei der Kursparität verharren» würde. Er zählt vor allem auf die Nationalbank, dass es nicht soweit kommt.
Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann rechnet bei einem Kurs von 1.10 Franken mit einer «starken Bremsung» der Wirtschaft, wie er im Interview mit dem «SonntagsBlick» sagte. «Fällt der Kurs unter 1.10, erwarte ich eine Rezession.»
Heinz Karrer, Präsident des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse, hofft auf einen «Kurs in einer Grössenordnung von 1.15 bis 1.20 Franken», obwohl die Zeichen momentan anders stünden.
Er ruft aber auch dazu auf, nicht zu pessimistisch zu sein. «Wir sollten erst einmal abwarten, wo sich der neue Kurs einpendelt», sagte er der «SonntagsZeitung».
Konjunkturprogramm nicht sinnvoll
Auf allfällige Konjunkturmassnahmen angesprochen, sagte Bundesrätin Widmer-Schlumpf zudem: «Wir müssen jetzt die Lage beobachten». Noch sei es zu früh, um über solche Forderungen zu sprechen. Für einen späteren Zeitpunkt zeigte sie sich jedoch offen.
Die angestossene Unternehmenssteuerreform III sei schon ein steuerliches Entlastungspaket, sagte sie der Zeitung «Schweiz am Sonntag». «Im Rahmen dieser Reform bin ich zu Diskussionen bereit.»
Widmer-Schlumpf und ihr oberster Kassenwart Gaillard halten Konjunkturprogramme angesichts von Wechselkursschwierigkeiten übereinstimmend nicht für eine sinnvolle Lösung. Solche Probleme müssten mit geldpolitischen Massnahmen gelöst werden, sagte Gaillard.
Kritik der Kantone
Scharfe Kritik richtet der Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK), Jean-Michel Cina, an die Adresse der Nationalbank. «Wenn ein so abrupter Kurswechsel erfolgt, wo man sagt, man verteidige den Mindestkurs mit allen Mitteln, und am Tag darauf gilt das Gegenteil, dann leidet die Glaubwürdigkeit», sagte er im Interview mit der «NZZ am Sonntag».
Es sei ungerecht, wenn es jetzt heisse, die Industrie und der Tourismus hätten drei Jahre Zeit gehabt, sich auf einen tieferen Kurs vorzubereiten und seien selber schuld, wenn sie dies nicht getan hätten, sagte Cina. «Wenn die Nationalbank sagt, der Mindestkurs gelte unverrückbar, dann verlässt man sich darauf.»
Schweiz Tourismus sei nach wie vor «unter Schock», sagte Direktor Jürg Schmid der Zeitung «Le Matin Dimanche». Kurz vor der Hochsaison habe die Branche den SNB-Entscheid sofort zu spüren bekommen. «Die Telefone haben sofort aufgehört zu läuten und vor allem sind die Online-Reservationen plötzlich ausgeblieben», sagte er.