Die Lenzerheide wendet Millionen auf, um sich in der Schweiz als Mountainbike-Destination Nummer 1 zu etablieren. Heute Sonntag gastiert mit Schweizer Zugpferden der Weltcup.
Die Schweiz ist die führende Nation im olympischen Cross Country. Und trotzdem war sie seit Champéry 2010 nicht mehr Gastgeber von Weltcup-Rennen – ein unhaltbarer Zustand. Dies fand man auch bei Swiss Cycling. Und als sich Lenzerheide und Gstaad interessiert zeigten, als Organisator von solchen Wettkämpfen aufzutreten, wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Schweiz zurück ins Geschäft zu bringen. Die Bewerbung der Lenzerheide sollte Berücksichtigung finden. Und die Bündner, die sich bereits beim Abwickeln von Wintersport-Events bewährt hatten, scheuten keinen Aufwand. Sie investierten noch mehr in ihre ohnehin schon riesige Bike-Infrastruktur, verpflichteten sich gleich für drei Jahre als Weltcup-Austragungsort und übernahmen als Krönung die WM 2018. Am Fusse des Parpaner Rothorns ist eine Bike-Arena gewachsen, die höchsten Ansprüchen genügt.
1994 hatten schon einmal Weltcup-Rennen auf der Lenzerheide stattgefunden, die heutigen Dimensionen allerdings sind um einiges grösser. Auch beim Bau der kurvigen Strecke wurde nichts dem Zufall überlassen. Es wurde eine erfahrene Crew engagiert, die von Spitzen-Athleten wie Ralph Näf beraten wurde. Die Veranstalter hoffen, mit ihrem Programm 15’000 Zuschauer anlocken zu können. An den Weltmeisterschaften 2018 dann sollen es doppelt so viele Fans sein. Für jenen Grossanlass wird mit einem Budget von knapp drei Millionen Franken geplant. Trotz der Franken-Stärke sollen die kommenden Anlässe gesichert sein. Bitter ist der Beigeschmack, dass der Betrieb der Cross-Country-Strecke ausserhalb von Weltcup und WM nicht möglich sein wird. Es fehlt die Bewilligung. Umweltverbände haben das Veto eingelegt.
Die Hoffnungen in der Schweizer Szene sind berechtigt, dass die Rennen auf der Lenzerheide mehr Resonanz finden als jene damals in Champéry. Der Bündner Ort ist für das Gros der Anhänger geographisch besser gelegen. Nino Schurter und Jolanda Neff, die beiden Stars aus dem Schweizer Kader, dürfen fast als Lokalmatadoren bezeichnet werden. Schurter ist nur 20 Autominuten entfernt in Chur wohnhaft, Neff ist gar offizielle Botschafterin der Ferienregion Lenzerheide, und 200 Meter neben der Rennstrecke wird der St. Gallerin von einem Sponsor dauerhaft eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Beide trainieren regelmässig in diesem Gelände.
Jolanda Neff macht für das «Heimspiel» eine klare Ansage: «So wie die Saison bislang gelaufen ist, wäre schon der 2. Platz eine Enttäuschung.» Nach ihren Weltcup-Siegen in Nove Mesto und Albstadt sowie Gold an den Europa-Spielen will sie die Ungeschlagenheit wahren. Die 22-Jährige aus Thal präsentiert sich in einer Traum-Form. Den Rummel und den Team-Wechsel zu Stöckli nach ihrem Gesamtweltcup-Sieg 2014 hat sie offenbar locker weggesteckt. Am Sonntag wird Neff wahrscheinlich ein neues Bike testen. Sie, die zuletzt für gewöhnlich ein «Hardtail» (ohne hintere Federung) gefahren ist, hat von ihrem Ausrüster ein «Fully» (volle Federung) erhalten. Das «Fully» ist zwar etwas schwerer, hat aber den Vorteil, dass der Körper unter hoher Belastung geschont wird. Immer mehr Athleten tendieren dazu, das «Fully» im Zweifelsfall vorzuziehen.
Nino Schurter strebt am Sonntag seinen ersten Sieg in dieser Weltcup-Saison an, nachdem er bisher zwei 2. Ränge auf dem Konto hat. In Nove Mesto musste er sich dem tschechischen Olympiasieger Jaroslav Kulhavy geschlagen geben, in Albstadt (nach einem Sturz kurz vor dem Ziel) dem französischen Weltmeister Julien Absalon. Zweiter war Schurter auch an den letzten Mountainbike-Highlights auf Schweizer Boden; an der WM 2011 in Champéry hinter Kulhavy, an der EM 2013 in Bern hinter Absalon.
Nebst den beiden Zugpferden hat Swiss Cycling für den Heim-Weltcup aber noch andere Trümpfe. Für die Schweizer Elite gab es in Nove Mesto und Albstadt insgesamt 13 Top-10-Klassierungen. Florian Vogel wurde zweimal Vierter, Mathias Flückiger zweimal Fünfter.
Vogel, der nach einer Durststrecke mit 33 Jahren in neuem Umfeld aufblüht, hat beste Erinnerungen an den letzten Weltcup in der Schweiz. Vor fünf Jahren feierte der Aargauer in Champéry seinen zweiten und bis dato letzten Weltcup-Sieg. Bei den Frauen triumphierte damals überraschend die Solothurnerin Nathalie Schneitter, die nach langer Verletzungsmisere heute um den Anschluss an die Weltspitze kämpft.