Am 1. Mai, am Kampftag der Arbeiterklasse, gingen früher weltweit viele Millionen Menschen auf die Strasse. Heute hat der Tag seine Brisanz verloren – aber nicht überall. Am Mittwoch gab es insbesondere in Russland und in den Euro-Krisenländern Demonstrationen. In Istanbul kam es zu Strassenschlachten.
In Moskau nahmen Zehntausende an einer Grosskundgebung zum Tag der Arbeit teil, die von der regierungstreuen Gesamtrussischen Volksfront unterstützt wurde. Unter dem Motto «Für Gerechtigkeit» marschierten sie durch das Zentrum der russischen Hauptstadt.
In St. Petersburg beteiligten sich 200’000 Menschen an einer Kundgebung.
«Nationaler Notstand»
In Spanien protestierten Zehntausende auf Kundgebungen im ganzen Land gegen die Sparpolitik der Regierung. Die Gewerkschaften sprachen von einem «nationalen Notstand».
Sie forderten die konservative Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy auf, der Schaffung von Arbeitsplätzen höchste Priorität zu geben. In Madrid gingen nach Angaben der Gewerkschaften 40’000 Menschen auf die Strasse.
Die gespaltenen französischen Gewerkschaften nutzten den 1. Mai zur Kritik an der sozialistischen Regierung. «Nein zur Sparpolitik – ob von rechts oder von links» lautete das Motto einer Demonstration in Marseille mit mehreren tausend Teilnehmern.
Auch in Portugal prangerte der grösste Gewerkschaftsdachverband CGTP die Sparpolitik der Regierung an und rief unter dem Motto «Gegen die Verarmung, für ein besseres Leben: Eine neue Politik und eine neue Regierung» zu Protesten in mehr als 40 Städten auf.
«Ohne Arbeit stirbt das Land»
In Italien schlugen die Gewerkschaften an einer grossen nationalen Kundgebung in Perugia Alarm. «Ohne Arbeit stirbt das Land, und dieses Land kann nicht sterben», sagte die Chefin der grössten italienischen Gewerkschaft Cgil, Susanna Camusso. Viele Politiker forderten von der neuen Regierung, konsequent gegen die Arbeitslosigkeit vorzugehen.
Tausende Menschen versammelten sich In Belgien zu Mai-Kundgebungen. Auch sie kritisierten die Sparpolitik der Regierung, zu geringe Lohnerhöhungen und Kaufkraftverlust. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz schrieb auf Twitter: «1. Mai, Tag der Arbeit. Wir müssen weiter für die Rechte der ArbeiterInnen kämpfen, genau so aber für die Millionen Arbeitslosen in Europa.»
In Deutschland beteiligten sich nach Gewerkschaftsangaben rund 425’000 Menschen an Demonstrationen und Kundgebungen. Die bundesweit mehr als 400 Veranstaltungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) standen unter dem Motto: «1. Mai: Unser Tag – Gute Arbeit, Sichere Rente, Soziales Europa».
Wasserwerfer und Tränengas
In Istanbul setzte die Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas ein Demonstrationsverbot für den zentralen Taksim-Platz durch. Ein Grossaufgebot von 22’000 Polizisten sicherte den Platz. Dabei wurden mindestens 16 Menschen verletzt. 20 Protestierer wurden in Gewahrsam genommen.
Das Verbot wurde mit Sicherheitsbedenken begründet, weil der Platz seit Monaten eine Grossbaustelle ist. Vor drei Jahren war den Gewerkschaften erstmals wieder ihr Marsch zum Taksim-Platz erlaubt worden, nachdem es dort 1977 zu schweren Zusammenstössen gekommen war.
In Tunis wurde an einer Kundgebung des im März ermordeten Anwalts und Gewerkschafters Chokri Belaïd gedacht.