Wenn die schlaueste Person im Raum der Raum ist

Buchreview zu „Too Big to Know“ von David Weinberger (2012) // Lisa Gräble Gibt man den Begriff „Wissen“ in Google ein bekommt man in 0.18 Sekunden ungefähr 273.000.000 Ergebnisse. Zugegeben, so grosse Zahlen überraschen nicht mehr. Die Frage, die sich mir allerdings stellt ist die Folgende: Helfen uns die digitalen Errungenschaften dieser Zeit, allen voran […]

Buchreview zu „Too Big to Know“ von David Weinberger (2012) // Lisa Gräble

Gibt man den Begriff „Wissen“ in Google ein bekommt man in 0.18 Sekunden ungefähr 273.000.000 Ergebnisse. Zugegeben, so grosse Zahlen überraschen nicht mehr. Die Frage, die sich mir allerdings stellt ist die Folgende: Helfen uns die digitalen Errungenschaften dieser Zeit, allen voran das Internet mit seinen vielen Informationsmöglichkeiten tatsächlich dabei mehr zu wissen? Macht uns der erweiterte Zugang zu Informationen klüger? Mit der Frage wie unsere Gesellschaft in Zeiten des Internets mit dem offerierten Informationsüberschuss umzugehen hat befasst sich in „Too Big to Know“ David Weinberger und diskutiert die Nach – und Vorteile, die das neue Medium im Bereich des „Wissens“  bietet.
Lisa Gräble hat das Buch gelesen und beantwortet die Fragen des Mewi-Blogs:

Schlagwörter: „Information overload“, „Vielfalt“, „Echokammern“, „Crowdsourcing“

(Bild: x)

Wovon handelt das Buch? Weinberger situiert das Wissen in einer Krise und berschreibt den Prozess des Wissens vom Wissen durch Expertentum zum Wissen durch die vernetzte Masse. Für Autor und Verlag steht fest: „Unser bisheriges Konzept von Wissen ist seit der Erfindung des Internets nutzlos geworden.“

Genauer: Auf einer den ersten Seiten schreibt Weinberger: „Die Welt ist viel zu riesig, um alles Wissen zu können.“ – Dennoch ist das Streben nach Wissen ein essenzieller Charakterzug des Menschen. Früher wurde das Wissen von Experten in Form von Schriften und Büchern veröffentlicht, welche als allgemein anerkannte Medien dienten. Aufgrund der digitalen Revolution verändert sich jedoch die Autorität des Wissens und es wird immer schwieriger unsere alten Vorstellungen auf das neue Medium Internet zu übertragen. Weinberger beschäftigt sich in seinem Buch damit, was passiert wenn die alten Grenzen des Wissens aufgehoben werden, die Mauern des Elfenbeinturms zu bröckeln beginnen und man nicht mehr ganz oben sitzen muss um sich Gehör zu verschaffen.

Das bedeutet? Weinberger sieht die Entwicklung des Wissens im Zuge der Erfindung des Internets als Rückbesinnung auf das Wesen des Wissens selbst. Wahres Wissen entstand auch früher aufgrund von Netzwerken, welche aus Kollegen und Freunden bestanden. Diese Vernetzungen sind seit der Erfindung des Internets exponentiell gewachsen und scheinen keine Grenzen zu kennen. Das Wissen gehört nicht mehr einzelnen Personen, Institutionen und Büchern, es gehört dem Netzwerk selbst. Die früheren Begrenzungen des Wissens gelten heute für den Autor nicht mehr. Er bietet eine neue Wissensstrategie an, mit deren Hilfe wir die Informationsflut zu unseren Gunsten nutzen können: die Intelligenz der Netzwerke, die immer mehr wissen als ein Team von Experten.

Haben Sie eine Lieblingspassage? „Die Kunst besteht darin, genau das richtige Mass an Vielfalt zu finden. Und dieses Mass ist deutlich kleiner, als wir gemeinhin annehmen.“ (S.100)

Gibt es Probleme mit dem Buch? Problematisch erscheint höchstens Weinbergers Auffassung eines schwachen Medienbegriffs. Er legt zwar einige der Gefahren des Internets für unser Wissen dar, seiner Meinung nach werden diese aber nur durch mangelnde Medienkompetenz hervorgerufen. Er geht also davon aus, dass sobald man gut über die Mechanismen des Internets informiert ist, der Zugang zu Informationen – und im nächsten Schritt Wissen – unbegrenzt sei. Die Frage inwiefern wir über diese Mechanismen Bescheid wissen (können) bzw. sie beeinflussen (können/wollen), stellt er nicht. Er rät nur dazu die „Zugangsbarrieren“ möglichst niedrig zu halten, um die vorhandenen Informationen optimal zu nutzen.

Warum empfehlen Sie dieses Buch? Weinberger versteht es seine Argumentation humorvoll und mit vielen Beispielen darzulegen. Er macht einerseits seinen Standpunkt als „digital utopian“ deutlich, teilt mit seinem Leser andererseits auch viele Ansichten der „digital dystopians“ wie Carr und Sunstein. Er vermittelt dabei die  Informationen und Anregungen so, dass sich der Leser nicht überfordert fühlt und seinen Gedankengängen bereitwillig folgt. Somit schafft er es, wichtige Fragen unserer heutigen Zeit einer breiten Masse zugänglich zu machen. Der Ironie, dass dies in Form eines Buches geschieht, welches er sonst als limitiertes Medium beschreibt, ist er sich dabei immer bewusst.

Zum Weiterlesen- und sehen:
David Weinbergers Vortrag zu seinem Buch „Too Big to Know“  im Rahmen des Berkman Centers mit Gästen wie Ann Blair, Mary Lee Kennedy und Ethan Zuckerman oder den Expert- Talk zum Thema „Knowledge“

 

 

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