Künftig darf ich auf meinen Nebensitz keinen Koffer mehr stehen lassen. Das stinkt der SSB. Was stinkt ihr noch?
Künftig darf ich auf meinen Nebensitz keinen Koffer mehr stehen lassen. Das stinkt der SSB. Was stinkt ihr noch?
Wir sind Weltmeister im Pendeln. Aber pendeln heisst bei uns schon auch einmal eine Sprachgrenze überwinden. Deshalb hängt die Benutzerordnung der SBB in den vier Landessprachen in allen Waggons. Wer verstehen will, wie die Schweizer Sprachkunst die Eidgenossenschaft zusammenschweisst, liest die „Benutzerordnung“ der „Chemins de Fer Federaux“ (CFF), SBB, FFS: Vielsprachige Demokratie lebt von den kleinen Differenzen der Weltbeschreibung. In den landesüblichen Übersetzungsabweichungen zeigt sich die Fähigkeit zu einem munteren sprachlichen Föderalismus: Man muss längst nicht das gleiche tun, wenn man das selbe sagt.
Die Hausordnung der SBB beginnt mit einem Guten Tag. In der SBB-Schweiz ist jeder willkommen. Mit kleinen Abweichungen: Während die Reisenden in deutsch „Herzlich Willkommen“ geheissen werden, lassen es die frankophonen „règles“ bei einem „Bienvenue“! bewenden (die scheinbar weibliche Einzahl bedeutet hierbei kaum, dass nur die alleinstehende Französin willkommen ist ..). Die Italienischsprachige „Benutzerordnung“ ruft den (nur männlichen?) Reisenden „benvenuti a bordo!“ zu. Das wirkt auch innerhalb des Hafens bereits weltmännisch. Der Kluge reist in den Tessin nicht nur im Zuge. Er steigt an Bord.
Nicht ganz so weltmännisch geht es bei den Deutschschweizern weiter: „Fahrausweise 2.er Klasse berechtigen zum Aufenthalt in der 2.Klasse, nicht jedoch in den Bereichen der 1. Klasse.“ Dürfen Sie als Deutschschweizer Zweitklässler in den Erstklässler-Bereichen wenigstens stehen? Nein. Weil sie stehend aufhalten – sich und andere. Als Tessiner allerdings: Ja! Dort berechtigen Sie nämlich die „titoli di trasporto die 2a classe ..a occupare exklusivamente i posti in 2da classe“. Sie dürfen die Plätze der zweiten Klasse sogar besetzen. Exklusiv. Es ist ihnen nicht explizit untersagt, in der ersten Klasse italienisch zu stehen. Die Rede ist hier nicht von Aufhalten. Weil die italienische Übersetzung sich bemüht, zu präzisieren, was „Ersteklasse-Bereiche“ bedeutet: „Posti“, Plätze (Sitzplätze wollen wir annehmen), kann uns also im Tessin keiner hindern, als Zweitklässler erstklassig zu stehen. Offen bleibt dabei, ob auch zweitklassiges Stehen erlaubt sei. Dazu ist man mit dem „titolo di trasporto“ zumindest – nicht exklusiv! – berechtigt. Nur zur Okkupation von Sitzplätzen. Darf ich als Tessiner aber die erste Klasse durchqueren, um in die zweite Klasse zu gelangen? Ja! Als Deutschweizer? Nein! Als Welscher? Nun, als solcher haben sie für „zones de 1ère classe“ keine Erlaubnis. Umgekehrt wird allerdings in keinem der vier Landesteile etwas darüber ausgesagt, ob Erstklässler ungestraft den Bereich der Zweitklässler vollstehen dürfen, wenn’s mal eng wird bei den Erstklässlern.
Etwas lockerer sieht man deutschsprachig den Umgang der Fahrgäste untereinander: „Verzichten Sie auf das Abspielen von Musik, auf laute Geräusche, Darbietungen und Betteln.“ Während die Röstischweizer noch recht höflich angehalten werden, nicht zu Betteln, ist es den Welschen „interdit“, während die Italiener „spettacoli“ nicht erlauben, wenn auch nicht untersagen. Operaufführungen müssen wohl im treno für immer ausbleiben. Szenen einer Ehe dürfen immerhin gegeben werden, am Handy, ohne Spektakel.
Ebenso unerlaubt sind Italienischschweizern „molesti“ (lästige) Geräusche, die sich ja bekanntlich von den deutschen „lauten“ Geräuschen dadurch unterscheiden, dass sie sehr objektiv leise, aber subjektiv lästig sein können. Die Deutschschweizer brauchen auf leise Geräusche nicht zu verzichten, weil sie nicht lästig sein müssen. Erst wenn sie laut werden, nerven die Deutschen. Allerdings: Ist eine Flatulenz laut oder nur lästig? Wenn sie beim Fahren einen lassen müssen, tun Sies im Zug am besten englisch. Da in dieses Sprache erst „excessive noise is forbidden“. Exzessives Fahrenlassen bleibt aber in keiner der vier Landessprachen erlaubt. Am besten sie gehen dafür von Bord.
Nun kommen wir zum bodenständigen Teil: „Schuhe gehören auf den Boden!“ Deutschweizer, die gerne mal die Wände hochgehen, sollten die Schuhe ausziehen. Wenn Sie Schuhe einkaufen, stellen Sie sie nicht in die Gepäckablage. Im Welschland ist das Abstellen der Schuhe auf den Sitzen möglich, wird aber in „aucun cas toleré!“ Ganz anders sieht Toleranz im Tessin aus. Dort ist das Abstellen von Schuhen auf den Sitzen schlicht nicht möglich. „Le scarpe non possono essere appogiate sui sedili.“ Sie können da gar nicht abgestellt werden. Warum? Wahrscheinlich nimmt man an, die Sitze seien für die kleinen Südschweizer ohnehin zu hoch. Oder man glaubt, es sitzen in italienischen Zügen ohnehin alle auf dem Boden, es sei also überflüssig zu verlangen, dass auch die Schuhe da bleiben sollen. Raucher werden in deutsch aufgefordert es zu „unterlassen“, während es den anderssprachigen schlicht verboten ist.
Was aber passiert Zuwiderhandelnden?
Zuwiderhandelnde haben in den verschiedenen Landesteilen der SBB unterschiedliche Konsequenzen zu fürchten: Im Tessin – „I danni ai veicoli sono perseguiti penalmente“ – werden also die Schäden strafrechtlich verfolgt. Das leuchtet auch ein: Schäden sind leichter zu verhaften als Täter, da sie meist nicht mehr davonrennen können. Auch in der Deutschschweiz haben die „Beschädigungen strafrechtliche Konsequenzen“. Für wen wird erst klar, wenn wir englisch sprechen: „ … anyone found causing damage“ Wer in flagranti gefunden wird, kommt in den Genuss einer Verfolgung.
Nun kommen wir zur Gültigkeit der SBB-weiten „Benutzerordnung“. Ist sie in allen vier Landesteilen gültig? Oder gilt die deutschsprachige Benutzerordnung in der Deutschschweiz und die welsche im Welschland? Und wo gilt die vierte Landessprache, Englisch? Irgendwo hinter Vaduz, in dem Kanon, in dem hauptsächlich englisch getalkt wird? Megacool. Wer die Regeln der SBB („Violation of thes rules“) verletzt, darf möglicherweis im vierten Landesteil mit krimineller Verfolgung rechnen (may result in …criminal prosecution. Thank you.“)
Was müssen wir, die Weltmeister im Zugreisen sind, noch zur Sprachvielfalt dazulernen? Vielleicht dies, von den Kolumbianern: Die Kolumbianer sagen sich nämlich – Sie!! Nahezu immer. Sie kennen das duzen gar nicht. Nicht wie die Amis, die einfach immer Du zu dir sagen, egal ob sie dich aus Ehrfurcht oder Überheblichkeit anpflaumen. Nein, die Kolumbianer siezen sich immer! Da siezt die Mutter das Kind genau so wie die Kinder die Mutter. Da gibt es kein Du! Mami, würden Sie mir die Windeln wechseln? Hoppla, da ist Ihnen der Schnuller runtergefallen. Das fehlt uns noch in Schweizer Zügen, dieser letzte Tick Höflichkeit. Bis die überhand nimmt, gilt für alle Schweizer Landessprachler: AUTOCONTROLLO! SELBSTKONTROLLE! Jeder kontrolliert seine Sprache selbst! Und natürlich heisst Demokratie auch hier Minderheitenschutz: Die Bündner dürfen nach Lust und Laune ihre Selbstkontrolle verlieren. Auf Romanisch verlangt die Hausordnung der SBB mit keinem einzigen Wort das Gegenteil. Auch nicht das Gegenteil davon. Viva!