US-Hip-Hop-Mogul Kanye West nutzte seine Basler Stippvisite, um mit einer mitternächtlichen «Prelistening Session» sein neues Album an der Kunst-Messe zu promoten – und dies mit messianischem Sendungsbewusstsein.
Was für ein Art-Auftakt! Eben erst war das Vernissagenpublikum gestern Abend nach dem offiziellen Eröffnungsakt in alle Himmelsrichtungen ausgeschwärmt. Da schien sogleich eine Art unsichtbarer Bumerang alle zurück zum Messeplatz zu holen: Wohin man auch blickte, ob über den Rhein Richtung Cargo Bar, in den gerade gut gefüllten Volkshaus-Garten oder beim sonst stets bis spätnachts heiteres Heiaschaweia versprechenden Art-Ping-Pong an der Moersbergerstrasse, überall war bereits ein unerklärlicher Massenexodus im Gange.
Wirklich überraschend allerdings nur für die Minderheit, die ohne Social-Media-Anschluss unterwegs war – denn wie ein Lauffeuer hatte sich kurz zuvor die von den verifizierten Art-Accounts verbreitete Kunde herumgesprochen, dass kein Geringerer als Kanye West um Mitternacht am Messeplatz zum Stelldichein samt Ständelein laden würde. Und so versammelte sich bereits kurz vor 23 Uhr ein illustres Grüppchen aus Kunstsammlern, -freunden und Hipstern aus aller Welt (von der hiesigen Galeristen-Elite über die lokale Musikprominenz bis zu Millionenerbe Carl Hirschmann) vor der Halle 1, hier, wo die frohe Botschaft ebenfalls bereits in Leuchtschrift von der Glasfassade strahlte. Und wartete.
Erst geduldig, dann zunehmend zappelig (immerhin hatte man diverse Apéros überstürzt zurückgelassen, nur um sich hier ohne nahegelegenen Alkoholausschank, geschweige denn VIP-Zone vor dem Eingang die in schicken Stilettos steckenden Beine in den Bauch zu stehen), schliesslich beinahe kopflos hysterisch umherirrend, auf der Suche nach dem güldenen Eingangstor.
Kanye, der Mac-Guru
Bis sich der Sesam um Mitternacht dann endlich öffnete, und mehrere hundert Schaulustige sich ins Innere der Halle 1 drängelten, derweil zwei hastig aufgestellte Theken die Gemüter mit Gratis-Getränken besänftigten. Zwar hatten die offiziellen Organe mittlerweile präzisiert, dass es sich beim überraschend angekündigten Event der Superlative bloss um eine «Listening Session» in Anwesenheit des Künstlers handle, dies tat der allenthalben zu spürenden Aufregung jedoch keinerlei Abbruch. Dann, eine weitere halbe Stunde später, war es endlich soweit: Auf einem Podium in der Mitte des Raumes erschien unter grossem Jubel Heiland West, um sein neues, nächsten Dienstag erscheinendes Werk «Yeezus» vorzustellen: «Ganz spontan», wie der US-Rapmogul betonte, der sich angesichts der Euphorie «fast ein wenig wie Steve Jobs» fühlte.
Und dann, genau wie der Apple-Guru selig, sein Macbook aufklappte, um seine MP3s wummernd, dröhnend und zigfach von den Wänden widerhallend dem Art-Publikum vor-abzuspielen. Songs, die den Albumnamen mit Titeln wie «I am God» und ebenso wuchtig-brachialen Arrangements nahtlos fort- und umsetzen, und passend dazu jeweils von Ansagen unterbrochen wurden, die zunehmend selber biblisches Ausmass annahmen, deren Narrativ sich sukzessive von «Kanye-gegen-den-Goliath-Kunstwelt» über «Kanye, der verlorene Sohn, der frei nach seinem Vorbild Warhol als Sample-Künstler in den Schoss der ihn einst verstossen-habenden-Kunstwelt-zurückkehrt» bis hin zu «Kanye, der Schöpfer göttlicher Rap-Kunst» steigerte.
Kanye, der Erlöser
Denn die Basler Bergpredigt des Künstlers folgte überaus stringent dem dominanten, ja: einzigen Motto des aussergewöhnlichen Anlasses: «Go West, folget Kanye, dem Erlöser, ans Licht! Und kaufet sein neues Album!» Zumindest solange, bis ein paar zunehmend entnervt-ermüdete Anwesende lautstark eine Live-Kostprobe seines Könnens einforderten. Doch die A-Cappella-Version von «New Slaves» offenbarte vor allem eines: Dass West alles andere als ein «Slave» ist, schon gar nicht «to the Rhythm». Nur gut, dass der selbsternannte König die zunehmende Unruhe im Saale vollends korrekt antizipierte und der Aufbruchstimmung Richtung Ausgang zuvorkam, indem er seinen PR-Stunt wiederum ganz majestätisch beendete: Mit ein paar ironischen Worten, und dem royalen Waten durch das sich vor ihm auftürmende Händemeer loyaler Ausharrender.
Immerhin – vermochte der Abend musikalisch auch kaum zu halten was sich manch Musikfan davon erhofft haben mochte, eines bewies der «aspiring Andy Warhol of Music» mit dieser intimen Audienz in aller Deutlichkeit: Dass seine persönliche Art-Performance dem eigenen Performance-Art-Idol in nichts nachsteht. «Kanye, der Künstler werden will», war ein wahrhaft warholeskes Stück subversiver Guerilla-Performance-Kunst der Gegenwart, und erwies sich damit als die einzig wirklich passende Kunst-Messe zum Auftakt dieser Kunstmesse: Denn wer – wie Messdiener West und seine Apostel im Art-Umfeld – zuletzt lacht, lacht ja bekanntlich am besten.
«Yeezus» ist ab Dienstag, 18. Juni, im Handel.