Wie die Fasnacht zur Künstlerlarve kam

Fasnächtler sind Experten, wenn es um ihre Fasnacht geht. Wer nicht weiss, was der Kunstkredit, eine Preissumme und antifaschistische Künstler mit der Fasnachtslarve zu tun haben, hat eine Bildungslücke.

Larven nach den Entwürfen von Paul Wilde und Hans Häfliger. (Bild: zVg)

Sie gibt der geliebten und gelebten Basler Tradition Jahr für Jahr tausende Gesichter: die kaschierte und bemalte Larve. Verglichen mit dem uralten Brauch des närrischen Treibens ist sie aber ziemlich jung.

Die Fasnachtslarve gehört neben dem Goschdym zur Grundausrüstung eines jeden Aktiven. Mit ihr lassen sich Emotionen und künstlerischer Ausdruck transportieren, zugleich garantiert sie ihrem Träger Anonymität. Was aber nur eingefleischte Fasnächtler wissen: Die Larve, wie wir sie heute an der Fasnacht kennen, gibt es in dieser Form erst seit 90 Jahren.

Auf die eigene Faust

1921 persiflierte die Fasnachtsclique «Olympia» die Politik des Basler Kunstkredits. Für ihr Sujet «Moderne Kunst» wurde sie aber bei keinem Larvenhändler fündig – kein Larvenmodell passte für die kubistisch gezeichnete Larve.

Nach längerem erfolglosem Suchen entschlossen sich die «Olymper», ihre Larven vom Binniger Kunstmaler und Bühnenbildner Paul Rudin (der auch die Laterne der Olymper malte, siehe Bild) modellieren und aus Kulissenleinwand und Papier kaschieren zu lassen. Nach einigen Versuchen entstanden so die ersten selbst kaschierten Larven.

Dies bekamen aber nicht nur andere Fasnächtler spitz, sondern auch Emil Métraux der Firma Métraux-Bucherer: Er war begeistert von Rudins Arbeit und fabrizierte schon im Jahr darauf besser kaschierte Larven. Dazu holte er Paul Rudin gleich mit ins Boot.

Kunstkredit und Basler Tradition

Selbst zum Ziel des fasnächtlichen Spottes geworden, schrieb der Basler Kunstkredit in Zusammenarbeit mit der Firma Métraux-Bucherer 1925 einen Künstlerlarvenwettbewerb aus. Von einer solch engen Verbindung von Basler Fasnachtstradition und Kunstkredit wusste selbst der jetzige Kurator des Kunstkredits, René Schraner, auf Nachfrage der TagesWoche nichts – zu seiner Verteidigung sind seit dieser interessanten Verbindung auch knapp 90 Jahre vergangen.

Für die Prämierung der besten Entwürfe stellte Métraux-Bucherer eine Preissumme in Aussicht. Verlangt wurde ein Gipsmodell in Naturgrösse. Die Preissumme bezahlte Métraux-Bucherer und bekam so das Recht an den prämierten Entwürfen.

Der «Aenishänsli» von Paul Wilde räumte den 1. Platz ab, die beiden anderen Gewinner waren Hans Häfliger und Max Varin. Der Entwurf von Wilde, der «Aenishänsli», wurde von den «Basler Nachrichten» als «die künstlerisch wertvollste» gelobt.

Durch die wohlwollende Berichterstattung der Zeitungen war das Interesse bei einem breiteren Publikum geweckt, die Firma Métraux-Bucherer konnte im Zuge dieser Entwicklungen die Auswahl von Modellen massiv erhöhen. Die wirkliche Basler Künstlerlarve, so wie wir sie heute noch kennen, war geboren.

Verkaufserfolg und antifaschistische Künstler

Die Gewinner-Larven des Wettbewerbs wurden zu Verkaufsschlagern: Die Paarlarven «Koxli» des Wettbewerb-Gewinners Max Varin gingen weg wie Määlsuppe und Ziibelewaie am Morgestraich. Und: die neuen Larvenmodelle wurden von den Zeitungen regelmässig vorgestellt. Angefressene Fasnächtler würden das sicher heute noch gerne im Blatt sehen.

Der Siegeszug der Basler Künstlerlarve war nicht mehr aufzuhalten und bedeutete das Ende für die importierten Larven. Zehn Jahre nach dem Künstlerlarven-Wettbewerb konnte man sich eine Fasnacht ohne eigene Larvenproduktion nicht mehr vorstellen.

Fast zeitgleich zum Künstlerlarven-Wettbewerb begann der unter Fasnächtlern legendäre «Larve-Tschudi» seine Produktion: In seinem Atelier fertigte Adolf Tschudin 1927 die ersten Larven, unterstützt von Paul Rudin und Otto Abt. Letzterer gehörte zu den Gründungsmitgliedern der antifaschistischen Basler Künstlergruppe «Gruppe 33». Viele Künstler arbeiteten fortan in Tschudins Atelier, unter ihnen Iréne Zurkinden, Haiggi Müller, Lotti Krauss und Max Wilke.

Spielkartengrosse Fetzen aus Schrenzpapier, das aus Holzzellulose bestand, setzte sich als Material durch. Dieses wurde dreilagig kaschiert und die Larve bei Zimmertemperatur getrocknet. Anschliessend wurde die Larve mit Öl- oder Acrylfarbe mit wenigen ausdruckstarken Pinselstrichen bemalt.

Unzufriedene Basler

Obwohl man nun über Larven von hoher materieller Qualität und originalem Ausdruck verfügte, bemängelte der Autor der «Basler Nachrichten» in einem Artikel vom 17. Februar 1936 die Beherrschung des Basler «Larvenmarktes» durch deutsche «Dutzendware». Die heute vorherrschende kaschierte Larve hat ihren Ursprung also auch in der zunehmenden Unzufriedenheit der Basler mit den bis in die 1930er Jahre importierten Larven aus Italien, Frankreich und Deutschland.

Diese dünnen Papier-und Wachslarven genügten den steigenden künstlerischen Ansprüchen nicht mehr. Ihr Haltbarkeitsdatum lag bei wenigen Stunden, bis sie im Ofenloch verschwanden.

Die Larve als Kunst von Weltformat

Bis zum 2. Weltkrieg hatte sich die Künstler-Larve etabliert. Weltberühmter Vertreter der Verflechtung von Kunst und Fasnacht ist Jean Tinguely: Seit Beginn der siebziger Jahre war er aktiv mit den «Kuttlebutzer» unterwegs und verarbeitete mehrfach Fasnachslarven in seinen Skulpturen, entwarf Larven und Kostüme.

Wie vermutlich jeder Basler weiss, zeichnet sich die so gefertigte Larve durch Variation von Grösse und Form aus, auch können riesige Tambourlarven realisiert und dank des «Güpfi», der kaschierten Kopfschale, getragen werden.

Heutzutage können Fasnächtler nicht mehr wegen ihren Larven monieren, faszinierend und voller Wertschätzung ist die jüngere Geschichte der Künstlerlarve. Was mit den künstlerischen Ansprüchen aber stieg sind die Summen, die für Larve und Goschdym ausgegeben werden. Oder wie es der Schnitzelbangg «D Voogelschyychi» – der übrigens dieses Jahr sein zehnjähriges Jubiläum feiert – gesungen hat: «I ha hit miesse ummerenne, um my Goschdym fligge z’kenne, E Steffli doo, e Steffli deert, die Bryyse die sin obergsteert, Jetzt han i d’Leesig das wurd sich loone, Z‘ Ziiri gits immer Filzaggzione.»

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