Wie eine Genferin und ein Diplomat den Wiener Kongress erlebten

Eine reiche, junge und schöne Schweizerin schwelgt in der Aufmerksamkeit der Herrscher Europas, ein gewiefter Schweizer Diplomat nutzt die Bälle für seine Zwecke. Die Tagebücher der beiden vom Wiener Kongress werden nun erstmals veröffentlicht.

Hier tanzte der Wiener Kongress - und auch eine schöne Schweizerin: Die bisher unveröffentlichten Tagebücher zweier Schweizer Beobachter liefern Anekdoten vom Wiener Kongress (1814-1815). Im Bild: der Kongresssaal im Bundeskanzleramt in Wien.

(Bild: sda)

Eine reiche, junge und schöne Schweizerin schwelgt in der Aufmerksamkeit der Herrscher Europas, ein gewiefter Schweizer Diplomat nutzt die Bälle für seine Zwecke. Die Tagebücher der beiden vom Wiener Kongress werden nun erstmals veröffentlicht.

In den Wiener Palästen zeichneten die Siegermächte über Napoleon zwischen September 1814 und Juni 1815 die Karte Europas neu – und die der Schweiz: Die grösstenteils bis heute bestehenden inneren und äusseren Grenzen der Eidgenossenschaft wurden anerkannt. Derweil amüsierten sich die Herrscher und Diplomaten fürstlich bei opulenten Bällen und Banketten.

Die bislang unveröffentlichten Aufzeichnungen zweier Schweizer Beobachter lassen nun die feierlich-diplomatische Atmosphäre aufleben, schreibt die Universität Freiburg in einer Mitteilung. Am Freitag wurde das Buch «Journaux du Congrès, Vienne 1814-1815» von Alexandre Dafflon vom Freiburger Staatsarchiv und Benoît Challand, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Freiburg erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.

Jean de Montenach war einer der drei Schweizer Gesandten am Wiener Kongress, Anna Eynard-Lullin die Ehefrau von Jean-Gabriel Eynard. Dieser wiederum war der persönliche Sekretär des berühmten Genfers Charles Pictet de Rochemont, der die Anerkennung der Schweizer Neutralität erreicht hatte.

Tee mit Prinzessinnen

Madame Eynard-Lullin war erst 20 Jahre alt, reich, schön und vom Walzer berauscht. «J’ai choisi la fête…», hat sie ihrem Tagebuch anvertraut, ich habe das Fest gewählt. Anna nimmt den Tee mit Prinzessinnen ein und begutachtet mit sicherem Auge den Wert derer Diamantengeschmeide.

Überrascht – wenngleich höchst entzückt – konstatiert sie, wie zugänglich die Herrscher sind, die sie antrifft. Die Genferin tanzt bis 4 Uhr morgens mit dem Zaren Alexander und dem Preussischen König – und lässt wie beiläufig einige Worte über Genf fallen, wie ein erleichterter Charles Pictet de Rochemont, ihr Onkel, in einem Brief an seinen Bruder äussert.

«Sie nimmt all diese Erfolge wie ein Kind, das sich freut, aber reichlich philosophisch und deutlich besser, als ich es je gedacht hätte», schreibt er. «Sie hat den kühlen Kopf ihrer Mutter.»

Umstrittener Diplomat

Jean de Montenach hingegen ist ein altgedienter Diplomat um die Fünfzig, der in Erinnerung an eine frühere Mission in Konstantinopel auch «le turc» (der Türke) genannt wird. Der aufgeklärte Patrizier bekleidete Ämter unter sämtlichen Freiburger Regierungen zwischen 1798 und 1837 – dem Ancien Régime, der Helvetischen Republik und der Mediationszeit, in der die Schweiz zur Eidgenossenschaft wurde.

Montenach, den das Historische Lexikon der Schweiz als hellsichtigen und ehrgeizigen Politiker beschreibt, war einer von drei Gesandten des Schweizer Landtags am Wiener Kongress. Die Musik, Bälle und Bankette sorgten für Möglichkeiten des Austausches, von welchen gerade die «kleinen» Staaten wie die Schweiz zu profitieren versuchten, um ihre politischen Positionen voranzubringen.

Montenach geriet später wegen seiner Memoiren über den Wiener Kongress in die Kritik: Man beschuldigte ihn, weniger die Interessen der Eidgenossenschaft als jene der Aristokratie in den Kantonen zu vertreten.

Die Schweiz wird verhandelt

Für die Schweiz, selbst ein Verhandlungsgegenstand unter vielen anderen, war der Kongress von grundlegender Bedeutung: Er anerkannte die 19 in der Mediationszeit gebildeten Kantone und bestätigte die Angliederung von Neuenburg, Genf und des Wallis an die Schweiz. Gebiete des ehemaligen Fürstbistums Basel teilte er hauptsächlich dem Kanton Bern zu.

Die vom Kongress festgelegten Landesgrenzen sind noch heute gültig, die Kantonsgrenzen blieben bis zur Schaffung des Kantons Jura 1979 unverändert. Weiter erklärte der Kongress, dass die immerwährende Neutralität der Schweiz im Interesse der europäischen Staaten liege – um das strategisch wichtige Alpengebiet aus dem Einflussbereich Frankreichs zu lösen.

Die Neutralität wurde im 2. Pariser Frieden am 20. November 1815 definitiv festgeschrieben, womit die Neuordnung der Schweiz abgeschlossen war.

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Weitere Informationen auf der Webseite der Société d’histoire du canton de Fribourg.

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