Community-Mitglied Esther Lattner über den 1. August und die Gedanken, die der Feiertag weckt.
Wieder mal Nationalfeiertag. Und wie jedes Jahr am 1. August werden Reden gehalten und Artikel geschrieben, in denen definiert wird, was die Schweiz ist oder sein sollte. Vergangenheit und Zukunft werden gleichermassen beschworen und Selbstdefinitionen gesucht – und je nach persönlicher Vorliebe wird Abgrenzung oder Öffnung gefordert, werden Lösungen vorgestellt für die Probleme, die man zuvor als die drängendsten definiert hat und vor allem wird betont, dass alle, die diese Dinge anders sehen, tragisch irren und dieses Land letztendlich zerstören, wenn man sie lässt.
Und was soll man sich bei so viel Gerede und Geschreibe und Getöse auch noch selbst Gedanken zum Thema «Heimat» machen – ich jedenfalls vermeide das in der Regel.
Heute jedoch gelang es mir nicht ganz, vielleicht, weil ich eine Schifffahrt auf dem Vierwaldstättersee machte. Angesichts dieser Bilderbuchschweiz, die auf mich immer ein bisschen wirkt, als könne sie eigentlich gar nicht wahr sein, kam ich doch etwas ins Grübeln.
Ich fühlte mich sehr fremd, bewunderte und genoss zwar die Schönheit dieser Landschaft, aber gleichzeitig hatte diese Schweiz nichts mit meiner Lebenswirklichkeit zu tun. Ich war hier genauso Touristin wie die Japanerin, die mir gegenüber sass.
Ich war hier genauso Touristin wie die Japanerin, die mir gegenüber sass.
Hinter mir sassen vier ältere Herren und jassten lautstark. Als der eine die Punkte zusammenzählte, kam mir plötzlich Emil in den Sinn mit seiner Jassnummer, denn fast genau so hörte es sich an.
Und da war auch das Paar mittleren Alters, das amerikanische Freunde zu Besuch hatte und ihnen die Schweiz zeigte – es war in höchstem Masse unterhaltsam, ihren klugen und lustigen Gesprächen ein bisschen zu lauschen.
Und dann gab es so viele andere, Laute und Ruhige, Nervige und Angenehme, und je mehr ich ihnen zusah und zuhörte, desto mehr verschwand das Gefühl von Fremdheit, obwohl ich keinen von ihnen wirklich kannte.
Abends wieder daheim, machte ich meinen üblichen Spaziergang übers Bruderholz und die Felder, eine Umgebung, die mir vollkommen vertraut ist.
Aber noch immer hing ich meinen Gedanken über Heimat nach: Sind es nun die Menschen, die Orte oder die Staaten und Grenzen oder die Kulturen, die uns das Gefühl von Vertrautheit und Sicherheit geben oder das Gegenteil? Und ist nicht sowieso alles eine seltsame Mischung aus all diesen Zuständen und jeder, der etwas anderes behauptet, macht sich der unzulässigen Vereinfachung der komplizierten Wirklichkeit schuldig?
Und als ich in meinem Kopf schon beinahe die Lösung dieser gewichtigen Fragen in Griffnähe hatte, kam mir eine junge Frau mit Kopftuch und einem Korb frisch geernteten Gemüses entgegen. Sie schenkte mir eine Tomate aus ihrem Garten und ein herzliches Lächeln.
Vielleicht ist es ja das. Ganz einfach. Jedenfalls für diesen Augenblick.