Ein ungemütlicher Samstagnachmittag ist im EM-Achtelfinal gegen Polen garantiert. Im Abwehrzentrum werden sich die Schweizer doppelt mit Robert Lewandowski zu befassen haben.
Die Prognose ist weder sonderlich originell noch schwierig, sie drängt sich sogar auf. Wollen die Schweizer in der Knockout-Phase einer Endrunde erstmals seit 1938 ein Spiel gewinnen, muss es ihnen gelingen, Polens Superstar im Sturm zu stoppen. Robert Lewandowski ist zwar an der EM und im Nationalteam generell seit über sieben Monaten torlos, geniesst aber auch ohne persönliches Erfolgserlebnis den Status des unersetzlichen Leaders von Weltformat.
Voraussichtlich wird seitens der SFV-Auswahl alles davon abhängen, ob sich die Defensive weiterhin kaum austricksen lässt. Im Mittelpunkt dürften dabei abermals Johan Djourou und Fabian Schär stehen. Die beiden risikofreudigen Innenverteidiger garantierten in der Vorrunde entgegen verschiedener Befürchtungen auch unter Druck eine stabile Basis im Spiel der Nationalmannschaft.
Sie werden am Samstag in Saint-Etienne eine Schlüsselrolle spielen. Im Verbund mit den beiden Mittelfeldorganisatoren Granit Xhaka und Valon Behrami müssen sie die polnischen Angriffszüge frühzeitig eindämmen. Die Kunst wird sein, nie ungesichert in eine 1:1-Situation mit dem Münchner Serienschützen Lewandowski zu geraten.
Die Zahlen der Nummer 9
Schär hat seit seinem Wechsel nach Deutschland erst einmal gegen Lewandowski antreten müssen, Djourous Vergleichswerte sind fundierter und unerfreulicher. In acht eher unschönen Begegnungen mit einem der weltbesten Angreifer bezog der Schweizer sechs Niederlagen; Lewandowski skorte neunmal.
Peter Knäbel kennt den Background der möglichen Protagonisten der Schweizer Achtelfinal-Affiche detailliert. Als langjähriger Direktor im Verband und späterer Sportchef des Hamburger SV begleitete oder beobachtete er die drei Persönlichkeiten intensiv.
Für die Nachrichtenagentur sda nimmt der deutsche Experte eine Einschätzung vor und erklärt, weshalb er den populärsten und erfolgreichsten Akteur des «Polski Zwiazek Pilki Noznej» nach Zbigniew Boniek, der Koryphäe aus den Achtzigerjahren, für bedeutend weniger einflussreich hält.
Der stille Leader Djourou
Über seinen Ex-Spieler Djourou sagt Knäbel Bemerkenswertes: «Johan ist einer der besten defensiven Kopfballspieler in Europa.» Er denkt im Zusammenhang mit dem 29-jährigen Romand an dessen Timing und Sprungkraft. «Gegen Lewandowski sind die Qualitäten von Djourou extrem viel wert.»
Die übrigen Eigenschaften Djourous fliessen in die Arbeit im Hintergrund ein. Knäbel hat den sehr zielorientierten Afro-Schweizer als stillen Leader kennengelernt. Er sei keiner, der sich erhebt und Massnahmen fordert: «Djourou ist aber ein Teamplayer mit Rückgrat, der sich in der Mannschaft klar positioniert.» Man könne sich auf ihn verlassen, so Knäbel.
Schär wieder souverän
Bei Djourous Partner Fabian Schär, vom französischen Fachblatt «L’Equipe» eben erst in das imaginäre Team der Vorrunde berufen, fällt Knäbel auf, «wie gut ihm das Tor gegen Albanien getan hat. Er fand dadurch seine Souveränität wieder, die im Abstiegskampf mit drei verschiedenen Trainern verloren ging». Solche Aktionen blieben beim Kontrahenten in der Spielanalyse haften. «Über seine Torgefahr bei Standardsituationen reden die Polen, das strahlt aus.»
Den Hoffenheimer zeichne aus, das Spiel präziser als alle übrigen zentralen Abwehrspezialisten auslösen zu können: «Seine ersten Pässe in die Schnittstelle sind erstklassig.» Schärs Auge sei formidabel und wichtig, «weil Fabian weiss, dass er nicht der Zweikämpfer par excellence ist». Mängel ortete Knäbel beim bislang spektakulärsten Schweizer Verteidiger kaum.
Lewandowskis Schwierigkeiten
Robert Lewandowskis sechsjähriger Bundesliga-Output ist beeindruckend. In 194 Partien produzierte der Bayern-Professional 121 Tore. Knäbel beurteilt ihn gleichwohl kritisch: «Seine Fähigkeiten sind aussergewöhnlich, das steht ausser Frage. Aber er hat in Frankreich noch nicht bewiesen, die Gruppe als alleiniger Leader anführen zu können.»
Mit der WM-Challenge 2014, Argentiniens Ikone Lionel Messi aufzuhalten, sei die Aufgabe gegen Polen nicht zu vergleichen: «Lewandowski ist irdischer.» Auch positionsbedingt. In München bekomme er pro Spiel vier, fünf Chancen serviert. «Seine Einstellung ist top, er arbeitet enorm viel. Aber für ihn ist es wahnsinnig schwer, als Nummer 9 den Karren immer selber zu ziehen.»