An den Curling-EM in Glasgow war erstmals ein Austria-Männerteam am Werk, das die Grossen beeindruckt. Es ist eine Sensation, wenn man die geringe Bedeutung des Curlings in Österreich kennt.
Schottland – Österreich 6:7. Im Fussball ist dies theoretisch denkbar, im Eishockey wäre es ein Ruhmesblatt für die Schotten. Im Curling dagegen galt so etwas bis letzte Woche als unmöglich. Absolut unmöglich. Und dennoch ist es eingetroffen. Es mag sein, dass der renommierte schottische Skip Tom Brewster, WM-Finalist von 2012, die unbekannten Youngsters aus Kitzbühel lange Zeit ein bisschen unterschätzt hatte. Als er merkte, dass das Team aus dem Nicht-Curlingland Österreich etwas kann, war es vermutlich zu spät. Die Tiroler bissen sich an den haushohen Favoriten auf deren Eis fest und rangen sie im Zusatz-End nieder. Die Schotten verpassten zuletzt die Halbfinals. Sie bereiteten sich und dem Publikum eine riesige Enttäuschung.
Auch das Schweizer Team um Peter De Cruz bekam die erfrischende Stärke der jungen Tiroler zu spüren. Aus dem vermeintlichen Spaziergang zum Turnierbeginn wurde nichts respektive eine Zitterpartie. Vor dem 10. End war der Match noch offen, bevor sich die Genfer, die nachmaligen Bronzegewinner, doch noch durchsetzten.
Der Skip des Kitzbüheler Quartetts heisst Sebastian Wunderer. Ohne die letzte Silbe im Nachnamen wäre der 23-jährige Student genau das, als das ihn jetzt viele Fachleute im europäischen Spitzencurling betrachten. Die jungen Österreicher sind ein Wunder. Dass sie in der Schlussabrechnung der EM ausgewiesene Topteams wie die Dänen und die Finnen hinter sich liessen und damit für 2017 den EM-A-Platz sicherstellten, hatte ihnen niemand zugetraut. Fast hätte es ihnen für den Startplatz an der kommenden WM in Edmonton gereicht. Aber in der Barrage verloren sie knapp gegen die aufstrebenden Niederländer.
Keine Österreicher mehr?
Die Schweizer Curler schauen bisweilen mitleidsvoll zu ihren Nachbarn zur Rechten. Die Grenze zwischen Mitleid und Spott ist fliessend. Wie in der Deutschschweiz allgemein Österreicher-Witze die Runde machen (Die Staatsbibliothek in Wien muss schliessen, jemand hat das Buch gestohlen), pflegen die Curler ihre speziellen Sprüche. So nennen sie den peinlichsten Fehlstein – ein Takeout-Versuch rauscht am gegnerischen Stein vorbei – einen Österreicher-Takeout, oder kurz einen Österreicher. Sobald Wunderers Mannen einmal die Schweizer an einer internationalen Meisterschaft hinter sich lassen, werden die hiesigen Curler ihre Fachausdrücke überdenken müssen.
Für ein Alpenland, in dem Sportarten auf Eis und Schnee generell viel bedeuten, hat Österreich im Curling tatsächlich eine ungenügende Infrastruktur. In den Bundesländern Kärnten, Steiermark, Burgenland, Salzburg und – trotz der Nähe zur Schweiz – Vorarlberg gibt es Curling überhaupt nicht. Die sieben Klubs verteilen sich auf die Bundesländer Wien (2), Niederösterreich (St. Margrarethen), Oberösterreich (Linz, Steyr, Traun) und Tirol (Kitzbühel).
In Kitzbühel steht die einzige permanente Curlinghalle Österreichs mit zwei Spielflächen (Rinks). Die Anlage ist folgerichtig auch das Bundesleistungszentrum.
Alle übrigen Klubs müssen auf Hockeyeis spielen. Die ambitionierten Spieler aus Wien fahren zum Training nach Bratislava. Die Slowakei ist alles andere als eine ausgewiesene Curlingnation. Aber immerhin gibt es in Bratislava zwei neuere Hallen, während entsprechende Projekte in Wien bisher nicht durchgekommen sind.
Obwohl in Österreich erst bis zu 300 Leute organisiert Curling spielen, ist Magister Marcus Schmitt, der Verbandspräsident, zuversichtlich. «Zwei der sieben Klubs wurden letztes Jahr gegründet. Das heisst, dass es ein Wachstum gibt.» Schmitt ist beispielsweise auch deshalb optimistisch, weil der Curler Boris Seidl als Sportlehrer im Gymnasium von St. Johann, in der Nähe von Kitzbühel, eingestellt wurde. Seidl konnte Curling als Wahlfach an der Schule etablieren. Die Unterschiede zum Curling in der Schweiz – 44 Hallen, 155 Klubs, gut 8000 Aktive – sind gleichwohl noch frappant.
Sebastian Wunderer und seine Crew sind das Aushängeschild. Sie versuchen alles, um näher an die internationale Spitze heranzukommen. Die Möglichkeiten sind aber beschränkt. «Aufenthalte mit Turnieren in Kanada liegen für uns nicht drin», sagt Wunderer. Er probiert dies einigermassen zu kompensieren, indem er verschiedene Turniere der europäischen Tour besucht, etwa jene in Basel-Arlesheim oder in Hamburg.
Ein Trumpf der Kitzbüheler dürfte der Nationalcoach sein. Es ist der Deutsche Uli Kapp, ein früherer Spitzenspieler, der im Füssener Team seines Bruders Andy Kapp unter anderem zweimal Europameister war und zweimal in einem WM-Final stand. Uli Kapp arbeitet in der fünften Saison in Österreich. Er sieht, dass seine Schützlinge noch in verschiedenen Bereichen das Potential haben, sich zu verbessern.
Die Sache mit dem Namenszug
Wenn sie sich in einer der nächsten Saisons für die WM qualifizieren – am Ende noch für eine WM im Curling-Schlaraffenland Kanada -, werden Wunderer und seine Mitspieler Tag und Nacht trainieren und unter Anleitung von Uli Kapp alles bis ins Detail vorbereiten. In der folgenden Beziehung werden sie es auch besser machen als ihre Vorgänger.
Das bislang letzte Austria-Team an einer WM war die Kitzbüheler Formation um Skip Alois «Lois» Kreidl. Sie brachten es an die WM 2002, die in den USA, in Bismarck, stattfand. Im Vergleich zu den aufstrebenden Jungspunden um Wunderer waren sie eine Altherren-Truppe.
Die Tausenden von Zuschauern, meist Kanadier und Amerikaner, werden die Herren Alois Kreidl, Stefan Salinger, Andreas Unterberger und Werner Wanker nicht wegen deren Leistungen auf dem Eis in Erinnerung behalten haben. Sie wurden mit neun Niederlagen in neun Spielen Letzte. Aber viele, die dort waren, werden die Leibchen und Pullover mit den grossen Schriftzügen auf dem Rücken nie vergessen. Die Österreicher hatten es gut gemeint und hatten die Übersee-Expedition gut vorbereitet. Dazu gehörte ein adretter Auftritt. Die Nachnamen der vier waren dank den riesigen Lettern von den hintersten Rängen erkennbar. Für Kreidl, Salinger und Unterberger war das völlig unverfänglich, nicht aber für Wanker. Seinem Nachnamen kommt im Englischen eine besondere Bedeutung zu. In der ganzen Woche waren kräftige Lacher von den Tribünen zu vernehmen. Wenn sie doch wenigstens noch die Vornamen aufgenäht hätten.