Das Winterthurer Bezirksgericht hat am Mittwoch entschieden, den Fall eines 35-jährigen Pornoproduzenten neu aufzurollen. Er war angeklagt, bei Sado-Maso-Szenen das Leben der Darstellerinnen gefährdet zu haben.
Es hätte eine Formsache werden können: Der Mann war geständig, die Frauen gefährdet zu haben. Der Staatsanwalt beantragte dafür eine bedingte Freiheitsstrafe von 15 Monaten und eine Geldstrafe.
Weil der Beschuldigte mit dem Vorschlag einverstanden war, hätte das Gericht diesen Vorschlag einfach als Urteil verhängen können. Dieses abgekürzte Verfahren wurde eingeführt, um die Justiz zu beschleunigen.
Das Gericht wollte den Filmer aber nicht so einfach davonkommen lassen. Die Vorwürfe seien gravierend. Der Weg des geringsten Widerstands sei deshalb nicht angezeigt, begründete der Richter den Entscheid. Es bestehe zudem der Verdacht, dass der Mann eine Persönlichkeitsstörung habe. Der Staatsanwalt muss damit noch einmal von vorne anfangen.
Ein Bestrafungs-System für Angestellte
Angezeigt wurde der sehr korrekt wirkende Mann von einer Gespielin, die er im Jahr 2010 auf einem Bett festband. Obwohl diese «Disziplinierung» vereinbart worden war, entwickelte sie sich für die Frau zu einem unerfreulichen Ereignis. Statt nämlich nur für kurze Zeit den Raum zu verlassen, blieb der Beschuldigte ganze vier Stunden weg.
Weil sie gegen ihren Willen festgebunden war, zeigte die Frau ihn wegen Nötigung an. Die Dame habe das so gewollt, sagte der Beschuldigte am Mittwoch. Es tue ihm leid, wenn sie sich im Nachhinein anders entschieden habe. «Niemand soll leiden, der das nicht will.»
Bei der weiteren Befragung stellte sich heraus, dass das Anbinden Teil eines Bestrafungs-Systems für Angestellte war. Der Mann führte damals eine Bar, die im ehemaligen Tresorraum einer Bank eingerichtet war. Wer «nicht genügend Performance» brachte, konnte sich «freiwillig bestrafen lassen». Teil dieses Führungs-Konzeptes war es auch, Mitarbeiterinnen in einen Käfig zu sperren.
Frau in Koffer gepackt
Auf den Hauptteil der Anklagepunkte stiessen die Ermittler erst, als sie einige der 150 Filme sichteten, die vom Beschuldigten produziert wurden. Sogar der Gutachter, ein Rechtsmediziner, konnte die Streifen «nur in sehr dosiertem Mass» ansehen. Er habe immer wieder Pausen machen müssen. Sein Urteil war aber klar: Es hätte böse enden können.
In mehreren Szenen wurden die Frauen ohnmächtig, weil sie über längere Zeit knien mussten oder an Armen und Beinen zusammengeschnürt waren. Eines der «Models», wie sie der Beschuldigte bezeichnet, wurde in Kauerhaltung in einen Rollkoffer gepackt. Dies hätte zum Erstickungstod führen können. Oft flossen Tränen.
«Die Frauen haben zwar freiwillig mitgemacht und wussten, um welche Art Filme es sich handelte. Dem Beschuldigten entglitt aber die Kontrolle über das Geschehen», sagte der Staatsanwalt auf Anfrage der sda. Der Mann habe damit in Kauf genommen, dass er mit seinen Handlungen das Leben anderer gefährde. Weil es sich dabei um ein Offizialdelikt handelt, wurden von Amtes wegen Ermittlungen eingeleitet. Keine der Frauen erstattete Anzeige.
Dass von den Darstellerinnen keine Anzeige einging, wundert den Beschuldigten nicht: Wer sich auskenne wisse, dass vieles in diesen Filmen nur gespielt sei. Zudem hätten die Damen jederzeit die Hoheit über die Handlungen und könnten das «Safe Word» sagen, ein vereinbarter Begriff, bei dem er alle Handlungen sofort abbreche, etwa «Chichihuahua».
Wie die Damen das «Safe Word» in geknebeltem oder ohnmächtigem Zustand sagen sollen, blieb allerdings im Dunkeln. Als Motivation für sein Filmschaffen gab der Informatiker «Kunst» an. Kunst habe viele Facetten. «Es muss ja nicht allen gefallen.»