«Wir befinden uns nicht in der freien Theaterszene, sondern an einer Schule»

Vorwürfe um Zensur und Nötigung am Gymnasium am Münsterplatz sorgten in den vergangenen Tagen für Aufregung. Im Gespräch mit der TagesWoche erklärt sich der kritisierte Rektor Eugen Krieger.

«Die Schüler müssen mir auch ihre Maturreden zum gegenlesen geben.» (Bild: Hans-Jörg Walter)

Vorwürfe um Zensur und Nötigung am Gymnasium am Münsterplatz sorgten in den vergangenen Tagen für Aufregung. Im Gespräch mit der TagesWoche erklärt sich der kritisierte Rektor Eugen Krieger.

Die TagesWoche berichtete vor einigen Tagen über «Zensur» an einem Schülertheater des Gymnasiums am Münsterplatz. Die Schülerschaft wehrte sich mit einem Brief an die Schulleitung des Gymnasiums. Der Theaterpädagoge schickte eine Beschwerde an die Schulkommission und bezichtigte den Rektor der «Nötigung». Der Artikel provozierte zahlreiche Leserkommentare. Nach langem Zögern stellt sich nun der Rektor Eugen Kriegen den Vorwürfen.

Herr Krieger, Schüler und Theaterpädagoge bezichtigten Sie der Zensur.

Zensur ist ein Begriff, der hier nicht angebracht ist. Es ging bei dem Stück um die sprachliche Tonalität. In dem Fall wurde für uns eine Grenze überschritten. Es ist mir wichtig zu sagen, dass wir uns in der Vergangenheit nie in die Auswahl und Erarbeitung von Theaterstücken eingemischt haben. Das war in diesem Fall eine Premiere.

Was hat Sie konkret an dem Stück gestört?

In dem Text wurde mit verbalen Grenzüberschreitungen gearbeitet. Ich möchte nicht auf Details eingehen. Wir befinden uns nicht in der freien Theaterszene, sondern an einer öffentlichen Schule. Das ist ein anderer Rahmen mit einem anderen Zielpublikum. Das sind Eltern und jüngere Geschwister – auch viele minderjährige Schüler. Vor diesem Hintergrund müssen wir darauf achten, dass die Grenzüberschreitungen nicht fortlaufend und in grobem Mass stattfinden.

Zu den Grenzüberschreitungen gehörten hauptsächlich Begriffe der Alltagssprache. Wie etwa «geil» oder «Brüste».

Die Tageswoche hat letzte Woche Passagen publiziert. Die Leserschaft konnte sich eine Meinung bilden. Ich anerkenne, dass man das unterschiedlich beurteilen kann. Nach unserer Beurteilung wurden sexistische und rassistische Wendungen verwendet. Im Gesamtmass haben sie jene Grenze überschritten, die wir im Schulrahmen verantworten können. Die Schule übernimmt für die Theateraufführungen die Kosten, das sind bis zu 5’000 Franken pro Schülerprojekt. Wir übernehmen aber auch die inhaltliche Verantwortung, indem wir die Regisseure befristet als Lehrpersonen anstellen. Am Ende stehe ich daher gerade für das, was aufgeführt wird. Es ist eine Frage des Masses. Oder wie Paracelus sagt, «dosis facit venenum». In unserer Beurteilung werden wir von der Rektorenkonferenz der Basler Gymnasien, der Schulkommission und dem Erziehungsdepartement einhellig unterstützt.

«Nach unserer Beurteilung wurden sexistische und rassistische Wendungen verwendet.»

Sie haben die Schüler mit einer Art Vertrag dazu verpflichtet, sich an die inhaltlichen Vorschriften zu halten und Stillschweigen zu bewahren. So erzählt es die Schülerschaft.

Wir stellten die Schüler vor die Wahl. Wir sagten, ihr könnt das Stück so aufführen wie geplant. Dann aber ausserhalb der Schule und von unserem Verantwortungsbereich. Wollt ihr es hier in der Schule machen, bitte sehr. Dann müsst ihr euch aber an unsere Richtlinien halten. Und jetzt bestätigt bitte mit eurer Unterschrift, dass ihr das zur Kenntnis genommen habt. Es war eine Zurkenntnisnahme und kein Vertrag.

Unter der Androhung von Konsequenzen?

Für das erfolgreiche Durchführen von Schulprojekten, besonders von Lagern und Reisen, ist eine gewachsene gegenseitige Vertrauensbasis von Lehrpersonen und Klassen unerlässlich. Wenn eine Klasse sich nicht an zuvor von der Schule kommunizierten Rahmenvorgaben hält, wird dieses Vertrauensverhältnis beschädigt.

Der Theaterpädagoge schickte eine Beschwerde an die Schulkommission. Darin bezichtigt er Sie der Nötigung.

Dieser Vorwurf ist falsch, ansonsten wäre unsere ganze Schulordnung eine Nötigung. Wir haben eine Hausordnung, ein Absenzensystem, ein Notensystem. Diese Regeln laufen immer darauf hinaus, dass sich die Schülerinnen und Schüler an ein paar Vorschriften halten. Im Gegenzug schenken wir ihnen aber auch ein grosses Mass an Vertrauen und beteiligen sie an zahlreichen Entscheidungsprozessen. Wir agieren überaus partizipativ und wohlwollend und die Schüler können viele Projekte entwickeln wie den GM-Winterball, das GM-Fest, die WM am GM oder die Studienreisen. Selbst an künftigen baulichen Umgestaltungen werden die Schüler beteiligt.

Der Artikel sollte bei unseren Lesern für zahlreiche Reaktionen. Folgend drei Zitate aus Leserkommentaren.

Einverstanden.

«Die Schulleitung betreibt vorauseilenden Gehorsam vor der Elternschaft.» Verspüren Sie einen grossen Druck von Seite der Eltern?

Nein, überhaupt nicht. Ich empfinde mich als sehr stark unterstützt. Wir haben einen sehr guten Austausch mit dem Elternbeirat. Es besteht ein grosser Konsens, was die Kultur an dieser Schule betrifft.

«Ein gutes Theater muss provozieren.»

Das ist richtig. Provokation ist ein absolut legitimes Stilmittel. Und das findet bei uns an der Schule auch statt. Etwa beim Maturklamauk, wo die Lehrpersonen auf die Rolle geschoben werden. Das gehört auch dazu und ist alles wunderbar. Aber ich wiederhole gerne noch einmal: Es gibt einen Unterschied zwischen einem Theaterprojekt in der freien Szene und im schulischen Rahmen.

«Provokation ist ein absolut legitimes Stilmittel. Und das findet bei uns an der Schule auch statt.»

Ein Leser schrieb, was hier passiert ist, sei keine Ausnahme. Bei den Maturfeiern müssten die Schüler ihre Reden der Schulleitung regelmässig zum Gegenlesen vorlegen.

Ich möchte festhalten, dass es nicht an allen Gymnasien Maturreden von Maturandinnen und Maturanden gibt. Wir sind eines jener Gymnasien, die sie nicht nur zulassen, sondern sie uns wünschen. Und es stimmt, ich lese diese Maturreden vor der Feier. Grundsätzlich bieten wir den Schülern bis zur Matur viele Möglichkeit auch für kritische Rückmeldungen. In einer Maturrede darf selbstverständlich auch Kritisches zur Sprache kommen. Die Maturfeier ist aber nicht der Ort für Abrechnungen.

Wenn Sie rückblickend Ihr Vorgehen beim Schultehater beurteilen, haben Sie überreagiert?

Die Theaterprojekte am GM verliefen bisher durchwegs erfolgreich und mit grossem Engagement der Klassen. In diesem Theaterstück wurde aber eine Grenze in der Tonalität überschritten, die wir im Schulrahmen nicht verantworten können.

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