«Wird die Prostitution verboten, verschlimmert sich die Lage der Frauen»

Viky Eberhard von der Beratungsstelle Aliena über Konkurrenzdruck und Ausbeutung im Basler Rotlichtmilieu.

Viky Eberhard von der Beratungsstelle Aliena über Konkurrenzdruck und Ausbeutung im Basler Rotlichtmilieu.

Frau Eberhard, die Preise für Sex sind seit einiger Zeit am Fallen. Lässt sich mit Strassenprostitution noch Geld verdienen?

Viky Eberhard: Die meisten Strassenprostituierten arbeiten selbstständig, müssen jedoch 100 bis 150 Franken pro Tag für die Miete ihres Zimmer bezahlen. Den grossen Verdienst macht dabei natürlich nicht die Frau. Bis eine Frau alleine ihre Miete bezahlt hat, muss sie einige Freier bedienen. Früher kostete der Service 80 bis 100 Franken, heute vielleicht noch 40 Franken. Das Überangebot ist gross, davon profitieren nur die Freier.

In Kontaktbars wie zum Beispiel dem «Roten Kater» werden andere Preise verlangt. Dort kostet eine halbe Stunde auf dem Zimmer 150 Franken.

Im «Roten Kater» versuchen die Frauen, den Preis auf einem gewissen Niveau zu halten. Dieser Zu­sammenhalt unter den Frauen ist wichtig. Doch das funktioniert heute leider nicht mehr in allen Bars. Die Konkurrenz unter den Frauen ist gross.

Wer verdient denn eigentlich noch Geld in der Branche?

Die Besitzer der Lokale, der Bars und die Zimmervermieter. Für diese ist es immer noch ein sehr lukratives Geschäft. Die verdienen das grosse Geld. Das kleinste Stück am Kuchen erhalten die Sexarbeiterinnen.

Nun heisst es, der Zürcher Strassenstrich habe sich nach ­Basel verlagert.

Es wird viel erzählt und geschrieben. Vielleicht kommen einige aus Zürich nach Basel, aber viele sind es nicht. Ich kenne die meisten Frauen, die hier arbeiten.

«Die meisten sagen, sie fänden einfach keinen anderen Job.»

Aus welchen Gründen kommen die Frauen?

Aus Not, ganz klar. Natürlich gibt es auch selbstständige Prostituierte, die in Salons oder in einem privaten Rahmen arbeiten, die sich sagen, ich will nicht für 2500 Franken 10 Stunden putzen pro Tag und dann bleibt nichts übrig Ende Monat. Die meisten sagen, sie fänden einfach keinen anderen Job. Dazu kommt der hohe Druck, rasch Geld zu verdienen durch familiäre Verpflichtungen.

«Die ‹echten› Spanierinnen, Portugie­sinnen, Italienerinnen auf dem Strich sind eine Minderheit.»

Stellen Sie eine Zunahme von Sexarbeiterinnen aus kriselnden EU-Ländern wie Spanien fest?

Zwei Drittel der Prostituierten aus Spanien bei uns sind Südamerika­nerinnen oder Afrikanerinnen mit Aufenthaltsrecht oder spanischem Pass. Sie haben teilweise in der Landwirtschaft oder in der Hotellerie und in Restaurants gearbeitet, bevor sie ihre Stelle verloren haben. Sie sind Mütter, haben Familien zu versorgen. Wenn kein Geld mehr da ist, kommen sie in die Schweiz, pro­stituieren sich für zwei Wochen und fahren wieder zurück. Andere reisen nach einigen Tagen wieder ab, weil sie den Job nicht aushalten. Die «echten» Spanierinnen, Portugie­sinnen, Italienerinnen auf dem Strich sind eine Minderheit.

«Die Ungarinnen in der Strassenprostitution werden es schwer haben, wenn die jungen Bulgarinnen und Rumäninnen kommen.»

Wird sich mit der Aufhebung der Kontingente für Bulgarien und Rumänien Ende Mai 2014 das Angebot an Frauen auf dem Strich vergrössern?

Ja, damit rechnen wir. Die Ungarinnen in der Strassenprostitution ­werden es schwer haben, wenn die jungen Bulgarinnen und Rumäninnen kommen.

Wie lange kann diese Entwicklung so weitergehen?

Das ist schwierig zu sagen. Seit Jahren sehe ich, dass die Preise im Sexgewerbe fallen – ich rede nicht von den grossen Saunaclubs oder Sex-Zentren, sondern von den Frauen, die selber oder organisiert in die Schweiz kommen und auf der ­Stras­se oder in den Kontaktbars arbeiten. Es gibt Leute, die sagen, ­alles werde sich von alleine regeln.

«Legale Prostitution ist sehr schwierig geworden.»

Dass also der Markt Angebot und Nachfrage steuert?

Genau, es wird vielleicht auch so kommen, aber das ist nicht gut, denn die Verlierer dieser Entwicklung sind die Frauen. Wir informieren alle Frauen, die in die Prostitution einsteigen wollen, zunächst über den gesetzlichen Rahmen, aber auch über ihre Verdienstmöglichkeiten und die Lebenshaltungskosten in der Schweiz. Wir klären auch die familiäre Situation ab. Wenn eine Sexarbeiterin zu Hause in Italien oder Spanien, drei Kinder zu versorgen hat, machen wir deutlich, dass es für sie schwierig sein wird, nach Abzug aller Kosten genügend Geld übrig zu haben für sich und ihre Familie. Ein Beispiel: Will eine selbstständige Masseuse hier legal arbeiten, muss sie die AHV-Abgabe bezahlen, die Krankenkasse, Miete, Steuern. Um das tun zu können, braucht man hohe Einnahmen. ­Legale Prostitution ist sehr schwierig geworden.

Wie haben sich die Zimmer­preise für die Prostituierten ­entwickelt?

Dieses Jahr sind sie im Bereich der Strassenprostitution gestiegen, von 100 auf 150 Franken pro Tag. In ­einigen Bars sind die Preise dagegen ein bisschen gesunken, zum Beispiel von 500 Franken pro Woche für das Zimmer runter auf 400.

Würde ein Prostitutionsverbot die Frauen vor Ausbeutung und Missbrauch schützen?

Nein, natürlich nicht. Auch meine Klientinnen gehen davon aus, dass ein Verbot kontraproduktiv wäre. Die Lage der Frauen würde sich, wenn ihre Arbeit kriminalisiert wird, massgeblich verschlimmern. Sie hätten dann keine Möglichkeit mehr, sich gegen Missbrauch, Zwang oder Gewalt zu wehren.

Viky Eberhard
Viky Eberhard ist Leiterin von Aliena, der Basler Beratungsstelle für Frauen im Sexge­werbe. Ziel von Aliena ist es, ­Pro­stituierte über ihre Rechte aufzuklären, eine Anlaufstelle in Notlagen zu sein sowie im engen Kontakt mit den Be­hörden eine Verbesserung der Arbeits-bedingungen im Sex­gewerbe zu erreichen.
Dahinter steht der Verein­Compagna, der verschiedene Hilfsangebote unterhält. Finanziert wird das Programm durch Spenden und den Ertrag des eigenen Hotels Steinenschanze. Aliena erhält keine staatlichen Zuschüsse.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 29.11.13

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