Mitten im Abstimmungskampf zur Atomausstiegsinitiative streiten sich Wirtschafts- und Umweltverbände über die Rolle des Eidg. Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi). Es herrscht grosse Uneinigkeit darüber, wie viele Kompetenzen der Behörde zugeschrieben werden sollen.
Das Parlament hatte in der Debatte zur Energiestrategie 2050 darauf verzichtet, im Gesetz eine Laufzeitbeschränkung für Atomkraftwerke festzulegen. Auch ein Langzeitbetriebskonzept, das die Betreiber der Atomaufsichtsbehörde Ensi vorlegen müssten, wurde verworfen.
Mit der Teilrevision der Kernenergieverordnung will das Bundesamt für Energie (BFE) die Elemente der Konzepte übernehmen, die nicht umstritten sind oder keine formelle gesetzliche Grundlage benötigen. Es geht darum, die Anforderungen für den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken zu erhöhen. Das Ensi fordert gestützt auf eine Richtlinie bereits einen Sicherheitsnachweis für den Langzeitbetrieb.
Ensi soll härter durchgreifen können
Was harmlos daherkommt, erhitzt die Gemüter, wie die Stellungnahmen der am Donnerstag zu Ende gehenden Anhörung zeigen. Dies ist gut drei Wochen vor der Abstimmung über die Atomausstiegsinitiative der Grünen nicht verwunderlich. Sowohl die Umweltverbände als auch die Wirtschaftsverbände untermauern ihre Forderungen betreffend Energiewende.
«Die Erkenntnisse aus der Fukushima-Katastrophe sollten zu einer Verschärfung der Sicherheitsanforderung für Atomkraftwerke führen, nicht zu einer Verfestigung des Status quo», schreibt Greenpeace Schweiz. Im Verordnungsentwurf fehle etwa die Pflicht für die AKW-Betreiber, bis zum Betriebsende eine Sicherheitsmarge gegenüber der Ausserbetriebnahmekriterien einzuhalten.
Die Umweltschützer fordern auch mehr Kompetenzen für das Ensi. Dieses soll die Möglichkeit haben, ein AKW vorübergehend ausser Betrieb zu nehmen, falls der Betreiber das eingereichte Langzeitbetriebskonzept und die darin vorgeschlagenen Massnahmen nicht fristgerecht umsetzt.
Vieraugenprinzip nötig
Damit solle die Praxis bekämpft werden, wonach «AKW-Betreiber wichtige Massnahmen aus dem Ensi-Forderungskatalog auf die lange Bank schieben, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen». Deshalb muss das Ensi laut Greenpeace rechtlich gestützt werden.
Dieser Meinung ist auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB), der Kritik am Bund äussert: So lege er nicht dar, «wieso trotz nachweislichem Manko auf diese Verschärfung verzichtet wird». Die Regierung und die Verwaltung handelten verantwortungslos.
Verbessert werden könnte die Verordnung laut dem SGB, wenn die Eidgenössische Kommission für nukleare Sicherheit (KNS) künftig zusätzlich zum Ensi die Langzeitbetriebskonzepte der AKW-Betreiber überprüfen würde. «Das wäre eine Mindestanforderung.»
Wirtschaft tritt auf die Bremse
Ganz anders sieht dies die Wirtschaft und die betroffenen Unternehmen. Für den Schweizerischen Gewerbeverband (sgv) geht die Verordnung in verschiedenen Punkten zu weit. So sei es «nicht logisch», warum die Konzepte der AKW-Betreiber bereits zwei Jahre vor Ablauf eines Betriebsjahrzehnts beim Ensi eingereicht werden sollen.
Zudem fänden sich in der Verordnung «zu hohe Hürden für den Weiterbetrieb», die schon heute gälten. Dass ein AKW-Betreiber «alle Investitionen für die restliche Betriebsdauer angeben muss, ist weder einleuchtend noch möglich».
Der Branchenverband swissnuclear stützt diese Einschätzung. «Es ist nicht nachvollziehbar, Nachrüstmassnahmen, die dem Stand der Technik entsprechen sollen, über einen Zeitraum von bis zu dreissig Jahren hinaus im Voraus zu planen.»
Abstimmung kann alles verändern
Ob der Bund die neuen Bestimmungen nach der Anhörung noch einmal überdenkt, ist unklar. Vonseiten SVP, FDP und CVP wurde der Entwurf begrüsst. Nur die SP und die Grünen fordern Nachbesserungen im Sinne der Umweltschützer.
Geplant ist, die revidierte Verordnung per 1. Mai 2017 in Kraft zu setzen. Im gleichen Jahr werden voraussichtlich die zwei Atomkraftwerke Gösgen und Beznau eine Periodische Sicherheitsüberprüfung (PSÜ) erstellen. Gleichzeitig müssen sie den Sicherheitsnachweis für den Langzeitbetrieb erbringen.
Sollte das Stimmvolk am 27. November jedoch die Atomausstiegsinitiative annehmen, würde sich die Situation verändern. Denn das Begehren der Grünen verlangt, dass Atomkraftwerke spätestens nach 45 Betriebsjahren stillgelegt werden müssen.