Die Reaktionen aus der Wirtschaft auf die Aufhebung des Euro-Mindestkurses von 1.20 Fr. sind überwiegend negativ. Einzig der Gewerbeverband sieht im Entscheid der Schweizerischen Nationalbank auch eine Chance.
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) erhält für ihren Entscheid, sich vom Euro-Mindestkurs zu verabschieden, sowohl Kritik als auch Lob. Nick Hayek verglich die möglichen Folgen mit einem Tsunami, nicht nur für die Exportindustrie und den Tourismus, sondern für die ganze Schweiz.
Für den Schweizerischen Arbeitgeberverband verschärft der erstarkte Franken die Unsicherheiten für die Arbeitgeber, besonders in der Exportbranche. Zudem sei mit Auswirkungen auf die Arbeitsplatzsituation zu rechnen.
Der Verband zeigt sich überrascht über die sofortige Aufhebung der Untergrenze des Schweizer Frankens zum Euro. Bereits heute stünden die Arbeitgeber durch die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative stark unter Druck, heisst es in einer Mitteilung am Donnerstag. Der Zeitpunkt der SNB-Massnahme sei ungünstig, da grosse politische und wirtschaftliche Unsicherheiten das Wirtschaftsumfeld zurzeit ohnehin belasteten.
Der Arbeitgeberverband sieht die Gefahr, dass eine Phase der Überbewertung des Frankens gegenüber dem Euro einsetzt. Bei einer starken Abweichung zum alten Kurs werde sich die Exportindustrie nicht in nützlicher Frist anpassen können, glaubt der Arbeitgeberverband.
Gewerkschaften befürchten Stellenabbau
Für den Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) ist der Verzicht auf die Kursuntergrenze von 1,20 Franken zum Euro durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) eine massive Gefahr für den Werkplatz Schweiz. Zuerst würden die schädlichen Folgen in der Exportindustrie spürbar.
In der Folge seien dramatische Auswirkungen auch auf andere Arbeitsplätze zu befürchten, sagte SGB-Chefökonom Daniel Lampart am Donnerstag gegenüber der Nachrichtenagentur sda. Sogar mit 1,20 Franken zum Euro sei der Franken noch überbewertet gewesen.
Mit der Aufhebung der Untergrenze hätten die Devisenspekulanten nun freie Bahn. Es sei mit einer unkontrollierten Aufwertung zu rechnen. Die bereits heute unter dem überbewerteten Franken leidende Exportindustrie und der Tourismus kämen weiter unter Druck.
Gastrobranche sieht schwarz
Die Gastgewerbeverbände Hotelleriesuisse und Gastrosuisse sehen das Ferienland Schweiz teurer werden und die Wettbewerbsfähigkeit der Hotels und Restaurants zurückgehen.
Die 20’000 im Verband organisierten Betriebe seien unmittelbar und negativ betroffen, teilte Gastrosuisse am Donnerstag mit. Bereits beim Mindestkurs von 1,20 Fr. pro Euro hätten die Gastbetriebe einen grossen Nachfragerückgang verzeichnet.
Das sieht auch Hotelleriesuisse so. Die Stärkung des Frankens treffe das Ferienland Schweiz im Kern, verlautete der Verband. Hotelleriesuisse erwartet von der Politik nun griffige Massnahmen gegen die Hochpreisinsel.
Konsumentenschützer befürchten Einkaufstourismus
«Der Einkaufstourismus wird zunehmen», sagte Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) gegenüber der Nachrichtenagentur sda. Die Preisdifferenzen zwischen Schweiz und EU würden wieder wachsen.
Nach dem Entscheid werde die Debatte über die Preise wieder voll einsetzen, doppelte Nadia Thiongane von der Westschweizer Konsumentenorganisation FRC nach. Produzenten und Verteiler müssten Währungsgewinne ehrlich auf die Endpreise weitergeben.
Erklärungsversuche von UBS-Chefökonom Kalt
UBS-Chefökonom Daniel Kalt sprach kurz nach der Ankündigung der SNB gegenüber der Nachrichtenagentur sda von einem «Schock». Offenbar habe die Nationalbank ihre Mindestkurspolitik länger durchziehen müssen als erwartet. Daran sei auch Europa Schuld, das seine Hausaufgaben aus der Schuldenkrise nicht gemacht habe, sagte Kalt weiter.
Laut Kalt hat beim Entscheid der SNB wohl auch die Stärke des Dollars hineingespielt. Dieser habe der Schweizer Exportwirtschaft deutlich günstigere Wechselkursbedingungen vor allem im Dollar-Raum beschert. «Vor diesem Hintergrund hat sich die SNB gesagt, dass sie den Schritt wagen kann», sagte Kalt.
Gewerbeverband sieht auch Chance
Zwar sieht auch der Gewerbeverband (sgbv) durch den Entscheid der SNB viele neue Herausforderungen auf die Unternehmen zukommen, insbesondere auf die Exporteure.
Die Politik könne aber helfen, die Herausforderung zu meistern, etwa durch die Senkung von Regulierungskosten. Dies würde es der gesamten Wirtschaft erleichtern, sich international zu positionieren, schreibt die Dachorganisation der Schweizer KMU in einem Communiqué am Donnerstag.
SP-Nationalrätin warnt vor «brandgefährlichem» Entscheid
Die Baselbieter Finanzpolitikerin und SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer nennt den Entscheid der Nationalbank «brandgefährlich» und ein «va banque»-Spiel mit der Exportwirtschaft. Diese habe sich auf den Mindestkurs eingestellt.
Der Euro-Markt sei für die Exportwirtschaft der wichtigste Markt, sagte Leutenegger Oberholzer am Donnerstag. Die Aufgabe des Mindestkurses bringe neue Unsicherheit. Für die Exportwirtschaft bringe der Entscheid grosse Probleme. Leutenegger Oberholzer fürchtet deshalb auch um Arbeitsplätze. Ob die höheren Negativzinsen eine Hilfe sein können, bezweifelt sie.
In den Augen von Leutenegger Oberholzer hat die Nationalbank «offenbar dem Druck von rechts nachgegeben», wie sie sagt. Im Kurznachrichtendienst Twitter schrieb die Nationalrätin:
Die SNB löst ein gigantisches Chaos an den Märkten aus. Ebner, Grübel, Schiltknecht haben sich durchgesetzt.
— Leutenegger Oberholz (@SusanneSlo) 15. Januar 2015
Entscheid laut SVP-Nationalrat verkraftbar für Wirtschaft
Lob für die SNB kommt dagegen von St. Galler SVP-Nationalrat Lukas Reimann:
Das Ende vom Mindestkurs war überfällig. Das Vorgehen der SNB aber könnte Milliarden kosten…
— Lukas Reimann (@lukasreimann) 15. Januar 2015
Die Schweizer Wirtschaft sei gut aufgestellt. Sie werde und müsse den Entscheid verkraften, sagte Reimann.
Für die Exportwirtschaft sei der am Donnerstag unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Entscheides eingetretene Kurssturz zwar schwierig, räumte Reimann am Donnerstag auf Anfrage ein. «Vielleicht wäre ein Vorgehen in Schritten besser gewesen». Er vertraue jedoch auf das Fachwissen der Verantwortlichen bei der Nationalbank.
Der Entscheid zeigt in den Augen von Reimann, «wie krank die Planwirtschaft ist, in der Zentralbanken faktisch das Geld steuern mit Zahlen, die wir uns gar nicht vorstellen können.» Die Nationalbank habe entscheiden müssen, ob sie die Selbstzerstörung des Euro weiter mitmachen wolle oder nicht.
«Lieber ein Ende mit Schrecken»
Auch UBS-Chefökonom Daniel Kalt zeigt Verständnis für den Schritt der Nationalbank. Europa habe die Hausaufgaben aus der Schuldenkrise nicht gemacht, sagte Kalt kurz an der Ankündigung durch die SNB im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda: Insofern hätte die SNB die Mindestkurspolitik viel länger durchziehen und ihre Bilanz viel weiter aufblähen müssen, als sie ursprünglich gedacht habe. «Darum hat sich die SNB gesagt: lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.»
Ein Faktor hinter der Aufhebung des Mindestkurses von 1,20 Franken zum Euro sei die Schwäche des Frankens gegenüber dem Dollar. Diese habe der Schweizer Exportwirtschaft deutlich günstigere Wechselkursbedingungen vor allem im Dollar-Raum beschert. «Vor diesem Hintergrund hat sich die SNB gesagt, dass sie den Schritt wagen kann», sagte Kalt.
Die Schweizer Exportwirtschaft habe in den letzten Jahren gezeigt, dass sie sich hervorragend an einen stärkeren Franken anpassen kann. Sie habe an ihren Strukturen und an ihrer Effizienz gearbeitet. «Die Schweizer Wirtschaft ist gut aufgestellt. Wir haben eine starke Binnenkonjunktur», sagte Kalt.
Für Exporteure, die schwergewichtig im Euro-Raum sind, wird die Aufhebung der Mindestgrenze allerdings das Geschäften schwerer machen. «Man kann erwarten, dass man Bremsspuren in der Schweizer Wirtschaft sehen wird», sagte Kalt.
Händler fürchten um Glaubwürdigkeit der Notenbank
Die Finanzmärkte reagierten derweil heftig: Wenige Minuten nach der Ankündigung sackte der Schwergewichte-Index SMI der Schweizer Börse am Donnerstagvormittag teilweise um bis zu 8 Prozent ab.
Minus 8,5 Prozent: So reagiert der Schweizer Aktienmarkt auf die Freigabe des #Franken-Kurses #SNB #EURCHF pic.twitter.com/U9XNCQtWaH
— Reuters Deutschland (@reuters_de) 15. Januar 2015
Der Kurs des Euro zum Franken fiel nach der Freigabe des Mindestkurses von 1,20 Franken pro Euro durch die SNB zwischenzeitlich unter die Parität. Danach wurde er wieder leicht über dem Gleichstand zu 1,05 Franken gehandelt.
Auch der US-Dollar hat sich zur Schweizer Währung verbilligt. Er stürzte von rund 1,02 Franken kurzfristig auf bis gegen 70 Rappen. Danach erholte er sich etwas auf 0,86 Rappen.
Händler am Devisenmarkt zeigten sich überrascht und fürchteten um die Glaubwürdigkeit der Notenbank. Ihm «fehlen die Worte», meinte ein Händler. «Das, was nicht passieren durfte, ist eingetreten – die Spekulanten haben gegen die Nationalbank gewonnen», kommentierte er. Damit sei die Glaubwürdigkeit der SNB dahin.
Postfinance stellt Devisen-Handel ein
Der Handel mit dem Schweizer Franken hat auch für die kleinen Kontobesitzer folgen:
Der Devisenhandel ist momentan über sämtliche Kanäle ausgesetzt. Sobald die Märkte wieder liquid sind, werden die Kanäle wieder geöffnet.
— PostFinance (@PostFinance) 15. Januar 2015
Wollte gleichmal die EUR Rechnungen zahlen. Bin wohl nicht der Einzige. @PostFinance hat Dienst blockiert #EURCHF pic.twitter.com/Zo3HCQHoW0
— Finanzprodukt Blog (@finanzprodukt) 15. Januar 2015
Swissquote überlastet, PostFinance blockt Kontowährungswechsel. Saxobank will Ausführungen nachträglich korrigieren. #SNB #Mindestkurschaos
— merlin2010 (@merlin2010) 15. Januar 2015
Die Basler Kantonalbank gibt noch Euro aus, allerdings ohne Kursangaben wie es auf Twitter heisst. Wobei es unterschiedliche Aussagen gibt:
Die telefonische Info hat sich bestätigt. Bei der #BKB gibts aber noch Euro am Automaten, ohne Kursangabe. #LT
— Jan Krattiger (@jan_krattiger) 15. Januar 2015
@jan_krattiger BKB-Automat beim Coop City spuckt welche aus, Kurs 1.07…
— Karen N. Gerig (@KarenNGerig) 15. Januar 2015
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