Wochenendlich im «Canton Marittimo»

Einige Bewohner Sardiniens wünschen sich den Anschluss an die Schweiz. Was hätten wir davon? Meeranstoss, Sonne und spektakuläre Landschaften. Viel unverbaute Freiheit also, wie unsere Rundfahrt im Norden der Mittelmeerinsel zeigt.

(Bild: Marc Krebs)

Einige Bewohner Sardiniens wünschen sich den Anschluss an die Schweiz. Was hätten wir davon? Meeranstoss, Sonne und spektakuläre Landschaften. Viel unverbaute Freiheit also, wie unsere Rundfahrt im Norden der Mittelmeerinsel zeigt.

Die Idee ist schon älter, aber erst seit ein paar Wochen hat sie sich so richtig im Netz verfangen und sorgt international für Aufmerksamkeit: «Canton Marittimo», die Idee, Sardinien der Schweiz anzugliedern. Zwei Inselbewohner, der Arzt Andrea Caruso und der Autohändler Enrico Napoleone, haben die Bewegung gegründet – aus Unzufriedenheit über Politik und Zustand Italiens und aus Bewunderung für unser System.

(Bild: Marc Krebs)

Darum wollen sie – kein Witz! – erwirken, dass Sardinien als 27. Kanton in den Bund aufgenommen wird. Einige Tausend Sympathisanten haben sie in den letzten Wochen gewinnen können. Und sogar der «Spiegel» hat schon über sie berichtet.

Während die Aktivisten Unterschriften sammeln, fragen wir uns: Was hat die Mittelmeerinsel zu bieten? Den Anschluss ans Meer, klar, Wildschwein-Salami und Macchia-Büsche auch. Da sind die spektakulären, von Wind und Wasser gestalteten Landschaften und Buchten, die – im Unterschied zu anderen Mittelmeerregionen – noch nicht völlig zugebaut worden sind.

Respektvoller Umgang mit der Natur

Sardinien ist die zweitgrösste Mittelmeerinsel (Platz 1: Sizilien), locker besiedelt, hügelig, urig. Direkt ans Meer zu bauen ist verboten – ein Gesetz, das man sich für Spanien auch wünschen würde. Denn auf Sardinien ist selbst die überteuerte Costa Smeralda um Porto Cervo ansehnlich geblieben. Hier, wo Aga Khan vor 50 Jahren den Tourismus der Insel begründete, sind viele Häuser in die Hügel eingebettet. Der Respekt vor der Natur, der Schutz der wunderbaren Buchten wurde weitgehend eingehalten.

Wir konzentrieren uns bei unserem verlängerten Osterwochenende auf den Norden: Besuchen zunächst eine katholische Prozession im westlichen Städtchen Alghero, wo ein Umzug in den alten Gassen stattfindet: Reliquien werden von einer Kirche zur Kathedrale getragen, begleitet von wunderbar melancholischen Chorgesängen. Wer genau hinhört, vernimmt in diesem Städtchen einige katalanische Sprachfetzen. Alghero und sein mittelalterlicher Stadtkern wurden einst von den Aragonieren besetzt; was in der Architektur und Sprache Spuren hinterlassen hat.

Tags darauf – wir haben in einem B & B übernachtet (und über die empfehlenswerte Plattform Airbnb gebucht) – führt uns die Reise in den Norden. Kurz nach Alghero lohnt sich ein Zwischenstopp in der stolzen (und bekannten) Weinkellerei Sella & Mosca, die man besichtigen kann, wir uns aber aus Zeitgründen nur rasch aufhalten – um uns mit dem fein-fruchtigen Weissen Vermentino La Cala einzudecken.

Und immer wieder rasch einen Caffè für 1 Euro

Einen Zwischenstopp legen wir bei Castelsardo ein, einer spektakulär ans Meer drapierten Stadt, deren mittelalterlicher Kern in Form einer Trutzburg auf einem Hügel angesiedelt wurde. Die Ausstellung über die hiesige Korbflechter-Tradition, naja, sie hat uns jetzt nicht mitgerissen. Aber einen Blick in die zahlreichen Kunsthandwerkläden zu werfen, das gehört zum Stopover ebenso dazu wie ein Caffè in einer Bar (1 €uro, Standardpreis auch auf der Insel).

Im Valle della Luna leben heute noch Hippies

Unser primäres Ziel liegt zwei Stunden nördlich von Alghero, wo der Blick nach Korsika reicht: Santa Teresa heisst das Städtchen, Capo Testa das kleine Naturwunder, das man über einen Damm erreicht. Das Kap bietet eine zweistündige Wanderung, die gerade im Frühling ein fantastisches Erlebnis ist: Ins Valle della Luna hineinstechen, ein Tal, das sich mit einem Blumendelta zum Meer öffnet und das seit 40 Jahren von einigen Aussteigern bewohnt wird. Sie leben in den zahlreichen Höhlen, die diese eigenwillige Granitfelslandschaft bietet. Zahlreiche Wildcampierer gesellen sich in den warmen Monaten zu den Langzeithippies hinzu – und wer durch das kleine Tal und dann ums Kap wandert, auch mal klettert, versteht die magische Idylle, die von diesem Plätzchen ausgeht. Die Wanderung endet beim Leuchtturm, der seinem Gegenüber im korsischen Bonifacio zublinkt und über die Felsen, die wie skurrile Skulpturen wirken. Und für Kinder wie ein Kletterparadies. Gott ist auch ein Bildhauer.

Zum Abschluss des Naturspektakels kann man die Gischt von einer Sonnenterrasse aus beobachten, allerdings sind Getränke und Speisen an dieser Bar überteuert. Noch einmal aufs Neue fasziniert das ganze Naturschauspiel, wenn sich die Sonne senkt und die Felsen golden einfärbt.

Im Norden Sardiniens gibt es sogar einzelne Felsen, die Berühmtheit erlangt haben. Der Capo d’Orso etwa, den wir tags darauf besuchen. Seinen Namen («Bärenkap») verdankt er seiner besonderen Form, die an einen Bären erinnert. Als wache das Tier über das Meer.

Wer sich hier oben etwas Zeit für die Aussicht nimmt, dem stechen Inseln ins Auge, die wir näher betrachten wollen: In Palau lockt eine Fähre zur 20-minütigen Überfahrt auf La Maddalena und Caprera, zwei Inseln, die früher vor allem militärische Bedeutung hatten und jetzt dem sanften Tourismus zugeführt werden. Vor allem Caprera bietet wunderbare Wanderrouten, einsame Strände und – wer ein Stück Geschichte mitnehmen möchte – das Garibaldi-Museum. Der Mann, nach dem in ganz Italien Strassen benannt sind (Garibaldi gilt als Landesvater, was die Vereinigung Italiens angeht), hat auf Caprera seinen Lebensabend verbracht. Das Anwesen ist heute ein Museum, der Rest der Insel kaum überbaut, von Pinienwäldern überzogen und ideal für einen Tagesausflug.

Wenn man dann auf einer Anhöhe rastet, den Blick über die Insel schweifen lässt, das türkisfarbene Meer auch, ein Stück Wildschwein-Salami kaut und Pecorino… dann kommt man zum Schluss: Momoll, gegen den Anschluss des «Canton Marittimo» gibt es eigentlich nichts einzuwenden. Avanti popolo!

  • Einfliegen: Sardinien ist als Mittelmeerinsel nur mit der Fähre (Livorno oder Genua) zu erreichen. Oder aber, in schnellen 90 Minuten, mit dem Flugzeug, zum Beispiel mit Easyjet ab Basel.
     
  • Einkaufen: Auf dem Donnerstagsmarkt von Santa Teresa erhält man vom Pecorino bis zur Wildschweinsalami alles, was das Herz begehrt.
     
  • Erwandern: Das Valle della Luna auf dem Capo Testa. Ein Tal, das einst die Hippies entdeckten (und einige leben hier in den Höhlen!), und das einen faszinierenden Spaziergang offeriert.
     
  • Einkehren: Für Feinschmecker: «Da Thomas», Santa Teresa. Sehr leckere Meeresfrüchte.
    Etwas günstiger: Marlin, ebenfalls in Santa Teresa.

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