Wochenendlich im Val Müstair

Wer noch nie am Ende der Welt war, sollte ins Münstertal im Kanton Graubünden reisen.

Weite, nichts als Weite im Nationalpark. (Bild: S. Suter)

Wer noch nie am Ende der Welt war, sollte ins Münstertal im Kanton Graubünden reisen.

Sie hört nicht mehr auf, die Reise von Basel ins Münstertal. Es ist eine der längsten Reisen, die innerhalb der Schweiz überhaupt möglich sind. Zwar trennen die beiden Orte «nur» 300 Kilometer, aber die haben es in sich – nicht nur wegen des Höhenunterschieds. Ist der erste Teil geschafft, sind Auto und Insassen per Bahnverlad von Klosters ins Unterengadin transportiert worden, wird es interessant für den Unterländer: Da schwindet sie dahin, die Zivilisation. Die Häuser werden weniger, die Autos auch. Sie verfolgen andere Ziele, bleiben auf Unterengadiner Strassen in Richtung Scuol oder Sent – oder biegen ab ins Oberengadin, wo in St. Moritz das Cüpli lockt. Den Weg in Richtung Val Müstair aber schlägt kaum einer ein. Ausser uns.

Münstertal, so heisst der hinterste Winkel im Osten der Schweiz, Val Müstair, um genau zu sein. Wobei Müstair nicht im Französisch-Slang ausgesprochen wird, sondern so, wie es da steht: Mü-sta-ir. Das ist der Ort, aus dem Langläufer Dario Cologna kommt. Wer das nicht weiss, bemerkt es spätestens bei der Einfahrt in die Gemeinde Val Müstair, wo Cologna von Plakaten lacht und für seine Heimat wirbt. Und für die vielen Loipen in der Gegend.

Doch bis zu dieser Einfahrt passiert noch viel. Da gilt es, den Ofenpass zu bewältigen (was bei Schneefall und ohne Ketten einer Mutprobe gleichkommt) und den Schweizerischen Nationalpark zu bewundern – den einzigen, den wir in unserem Land haben und mit seinen bald 100 Jahren der älteste Nationalpark der Alpen ist. Er besteht aus: Weite. Einfach nur Weite.

Ein Anblick, den wir Unterländer nur von Dokumentarfilmen über ferne Länder oder von entsprechenden Reisen kennen. Berge, Schnee, keine Menschen, keine Häuser, dafür Tiere, wenn auch meistens versteckt. Doch allein das Wissen, dass hier Steinwild, Rotwild, Gämsen, Murmeltiere, Rehe, Schneehasen, Eidechsen, Schlangen, Insekten, Vögel und sogar Bartgeier beobachtet werden könn(t)en, gibt ein gutes Gefühl. Das Gefühl, dass es auch am Ende der Schweiz Leben gibt. Es dort im Gegensatz zu manch anderen belebten Orten aber friedlich ist – immer, 365 Tage im Jahr.

In der Gemeinde Val Müstair angekommen, ist sie wieder da, die Zivilisation. Mit seinen gut 1500 Einwohnern ist es das Dorf mit den meisten Bewohnern weit und breit. Spazierwege führen zum Kloster St. Johann, das zum Welterbe der Unesco gehört, und von dort ins angrenzende Südtirol. Für den Imbiss lohnt es sich allerdings, wieder die Grenze Richtung Schweiz zu passieren und in der Käserei einen Kräutermutschli zu kaufen oder – bei grossem Hunger – im Restaurant des Hotels Helvetia Capuns und andere Bündner Spezialitäten zu kosten. Der Drink in der hauseigenen «Spaghetti Bar» ist allein wegen der anderen Gäste ein Highlight. Dort fallen Sätze wie: «Hier im Münstertal ticken die Uhren anders.» Das stimmt. Sie ticken anders, die Uhren. Langsamer. Oder auch gar nicht. Hier ist alles, wie es immer war. Und das ist gut so.

  • Anzapfen: «Spaghetti Bar» im Hotel Helvetia, Val Müstair.
  • Anschauen: Kloster St. Johann, Unesco-Welterbe, Val Müstair.
  • Ausspannen: Beim Langlaufen und Spazieren, überall möglich.
  • Einkaufen: Käse in der Dorf-Käserei in Val Müstair und Salsiz beim Bio-Bauern.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 01.02.13

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