Wochenendlich in der Republik Saugeais

Das Wirtschaftszentrum der Republik Saugeais ist eine Räucherkammer für Würste. Hin da.

(Bild: Andreas Schneitter)

Das Wirtschaftszentrum der Republik Saugeais ist eine Räucherkammer für Würste. Hin da.

Die Schweiz hat fünf Nachbarländer? Falsch – ein sechstes kam 1947 hinzu. Damals besuchte der Präfekt des französischen Departements Doubs, auf der Westseite des schweizerisch-französischen Grenzflusses gelegen, das Dorf Montbenoît im Saugeais-Tal. Dort nahm er in einem Hotel nahe des alten Klosters sein Mittagessen ein, worauf ihn der Hotelier Georges Pourchet gefragt haben soll: «Herr Präfekt, haben Sie eine Einreiseerlaubnis in die Republik Saugeais

Diese Republik, so die Gründungslegende, habe der Hotelier in diesem Moment erfunden, allerdings müssen die beiden Herren guter Laune gewesen sein: Der schlagfertige Präfekt ernannte Georges Pourchet sogleich zum Präsidenten der Republik – auf Lebenszeit. Eine Bieridee also, wobei es eher der Absinth gewesen sein dürfte, der auch westlich des Doubs gerne genossen wird – und doch mehr als das.

Um das Jahr 1000 hat ein Eremit namens Benoît zusammen mit ein paar zugewanderten Berglern aus Savoyen und dem Bündnerland mit dem Segen des zuständigen Bischofs eine Abtei erbaut, um die das Dorf Montbenoît errichtet wurde, und damit die Besiedlung dieses wilden Tals eingeleitet. Und weil das Tal isoliert und in den rauhen Höhen der Franche-Comté liegt, hat sich hier ein autonomer Geist entwickelt – lange, bevor der Präfekt kam.

Republikanische Folklore

Die republikanische Idee von 1947 fand jedenfalls Anklang in den elf Dörfern des Saugeais, denn mittlerweile ist sie in die Folklore des Tals eingegangen. Wer bei Le Locle über den Col des Roches hinunter nach Frankreich fährt, wird schon bald den Wegweiser «Tuyé du Papy Gaby» erblicken, den Hof mit Räucherkammer von Georges und Gabrielle Pourchet, dessen Kamin hoch in den Himmel ragt. Als ihr Mann 1968 nach 20 Jahren Präsidentschaft starb, wurde Gabrielle Pourchet am Dorffest zu Montbenoît per Akklamation zur Nachfolgerin gewählt und hatte das ehrwürdige Amt fast 40 Jahre inne, bis es 2006 an die Tochter überging. Die Räucherkammer ist nicht nur ein Souvenirshop, wo man der Staatslegende nach die besten Saugeais-Würste in dieser an geräucherten Fleischwaren nicht armen Nation kriegt, sondern auch Zentrum der Republikfolklore.

Hier steht ein Zollhaus, hört man die Hymne, kann man Einreisevisum oder Briefmarken kaufen. Historisches Zentrum der Republik ist der Klosterkomplex, der gerade wegen seines verwitterten Zustands besonders mystisch wirkt. Weil die Mikro-Nation nach der Abtei und den Dorfkirchen, den Würsten und Schnäpsen und einem den Freibergen verwandten Wandervergnügen schon am Ende ihrer touristischen Verwertbarkeit angelangt ist, lohnt sich der Sprung in die Nachbarorte: an die Quelle der Loue, die einem imposanten Felskessel entspringt, oder zur Trutzburg Château de Joux, gelegen auf einer Fels­enge bei Pontarlier, in deren Kerker der haitianische Nationalheld und Sklavenbefreier Toussaint Louverture jämmerlich zugrunde ging. Von dort erwartet einen eine schöne Rückkehr in die Schweiz: ins Val de Travers, die Heimat des Absinths.

  • Anbeissen: Die Würste der Präsidenten von Saugeais.
  • Anschauen: Die Trutzburg Château de Joux.
  • Ausspannen: In den Blumenzimmern der Auberge de La Motte.
  • Abmarschieren: Auf dem Wanderweg der Mönche von Montbenoît nach Môtiers.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.05.13

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