Wochenendlich in Gruyère

Willkommen in der Stadt des Fondues, des Raclettes und der menschenfressenden Aliens.

Ach, wie schön: Das Schloss Gruyère. (Bild: Philipp Loser)

Willkommen in der Stadt des Fondues, des Raclettes und der menschenfressenden Aliens.

Es wird Abend im Greyerzerland und nichts geht mehr. Dichter Nebel kriecht das Tal hinauf und hüllt all die lieblichen Hügelchen, das Schlösschen, das Städtchen und das Balkönchen unseres Hotels in undurchsichtiges Weiss. Auf dem Nachbarbalkon steht Ole, ein dänischer Gastarbeiter, und blickt ins Nichts. «Normally, it is really beautiful.» Weil es nichts mehr zu sehen gibt (und auch die letzte Bar in Gruyère schon lange vor Mitternacht Ole und seine dänischen Freunde in die kalte Nacht vertrieben hat), werkelt der Däne mit einem Zapfenzieher an einer Flasche Weissen herum (sie hat einen Drehverschluss) und sagt dann noch einmal (mit etwas schwerer Zunge): «Normally, you know, it is really beautiful. Really!»

Abgang Ole. Und Auftakt für ein Wochenende in einem kleinen Städtchen, das es so eigentlich gar nicht geben kann. Oder höchstens in den feuchten Träumen eines Angestellten von Schweiz Tourismus. Gruyère ist nämlich nicht nur «beautiful», es ist «fucking marvelous!», wie es einem sauber rasierten japanischen Touristen tags darauf am Eingang des Städtchens entfährt.

Der Nebel ist an diesem Morgen nur noch eine unwirkliche Erinnerung und hat der Postkarten-Lieblichkeit der alten Schweiz Platz gemacht. In der Ferne: die Alpen. Etwas näher: saftige grüne Hügel. Direkt vor der Nase: eine an der Grenze zum Kitsch entlangschlitternde Ansammlung von äusserst hübschen Mittelalterhäuschen.

Überall Käse

Wir sind noch nicht fertig mit Bestaunen der mittelalterlichen Baukunst, als uns der unverwechselbare Duft von Käse in die Nase sticht. Und zwar von überall her. Vor jedem dieser kleinen Häuschen wuseln Kellnerinnen und Kellner zwischen Stühlen und Tischen umher und tragen entweder ein Caquelon oder ein Raclette-Öfeli vor sich her.

Zwar ist es noch nicht lange her seit den Meringues mit Doppelrahm, die im Hotel zum Frühstück gereicht wurden (köstlich!), aber wir können nicht widerstehen. Zum Zmittag ein Raclette, zum Zvieri eine Käseschnitte, zum Znacht ein Fondue. Wir sind im Käsehimmel. Und wir sind nicht alleine. An diesem sonnigen Winterwochenende in Gruyère sind sämtliche Plätze vor und in den Restaurants besetzt. Und alle essen sie geschmolzenen Käse. Die Japaner und Amerikaner und Dänen und Schweizer. Dabei scheinen sich die Touristen nicht nach den gängigen Essenszeiten zu orientieren: Käse wird durchgehend serviert. Man wüsste zu gerne, wie viel Gruyère an einem Wochenende in Gruyère in geschmolzener Form gereicht wird.

Der Vollständigkeit halber: Essen ist beileibe nicht alles, was Gruyère zu bieten hat. Für den Verdauungsspaziergang empfiehlt sich ein Abstecher zum nahegelegenen Moléson, das Schlösschen ist reizend und das schaurige Museum von HR Giger (dem Vater der Aliens und des nächsten Jahr anlaufenden Films «Prometheus») muss man auch einmal in seinem Leben gesehen haben. Danach hat man genügend Energie verbraucht, um sich zum Abschluss des Ausflugs noch einmal ein gepflegtes Raclette zu gönnen. Und vielleicht noch eine Portion Fondue.

  • Eintunken: Das beste Fondue gibt es im Le Chalet.
  • Einchecken: Wunderbare Aussicht, gemütliche Zimmer: Die Hostellerie des Chevaliers, gleich beim Städtchen.
  • Einsteigen: Mit der Schwebebahn auf den Moléson.
  • Einverleiben: Neben dem Schloss der Klassiker in Gruyère: die schaurige Welt des HR Giger. Ein Besuch im Museum ist schwer zu empfehlen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 20/01/12

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