In dieser Rubrik stellt Rudolf Bussmann jede Woche Lyrik vor. Heute beschäftigt er sich mit einem Gedicht Ernst Jandls, der am 1. August seinen 87. Geburtstag feiern würde.
nach Hause kommen
öffnet die tür sich
lacht sich entgegen
umarmt sich
küsst sich
springt an sich hoch als das kind
springt an sich hoch als der hund
streichelt sich den kopf
nimmt die tasche sich aus der hand
hilft sich aus dem mantel
erzählt sich was alles war draussen
hört sich zu wie alles war zuhaus
Nanu? Da hat der Sprachspieler Ernst Jandl die Wörter vertauscht, hat anstelle von «mir» und «mich» konsequent «sich» geschrieben? Die beschriebene Heimkehr wäre demnach übersetzbar in Zeilen wie lacht mir entgegen / umarmt mich? Es scheint, hinter Jandls Wortfassade halte sich die freudige Ankunft eines Menschen bei seiner Familie zu Hause, bei Gattin, Kind und Hund verborgen. Diese Annahme hat vieles für sich, ausser den beiden letzten Zeilen. Der Schluss sträubt sich entschieden gegen das simple Ersetzen eines Pronomens durch das andere. Er müsste dann so lauten: erzählt mir was alles war draussen / hört mir zu wie alles war zuhaus. Das Ich kann aber nicht wissen, wie es zu Hause in der Zwischenzeit war. Und wer soll ihm umgekehrt erzählen, wie es draussen war? Nur das Ich selber kann das tun. Spricht es zu sich selber?
Das springende Es
Für keines der elf Verben im Gedicht gibt es ein erkennbares Subjekt. Selbst dort, wo die Handlung unmissverständlich von einem lebendigen Wesen ausgeht, ist das Subjekt ausgespart: «springt an sich hoch als das Kind / (…) als der Hund». Wollte man den Satz ergänzen, wäre ein Es oder Etwas einzusetzen: Es springt hoch als das Kind. Das klingt ganz und gar entpersönlicht. Erweckt nicht im Übrigen das ganze Gedicht diesen Eindruck? Ausser einem diffusen Es, Etwas ist niemand da, der den Heimkehrenden in Empfang nehmen könnte. Die Handlung läuft ab, als käme sie aus sich selbst, als gäbe der Eintretende nur das Zeichen, auf das hin sie sich nach einer eingespielten Folge in Gang setzt.
Die Verben ohne Subjekt, in Verbindung mit dem mehrdeutigen «sich», stehen nicht im Dienst einer präzisen Schilderung. Sie halten nicht fest, was sich tatsächlich ereignet, spielen statt dessen mit Möglichkeiten: Man würde die Tür öffnen, aus dem Mantel helfen, man begänne sich gegenseitig zu erzählen. Das Gedicht handelt von einem vorgestellten, ersehnten, erinnerten Heimkommen. Vom Heimkommen eines Menschen, der allein lebt und für den allein zu leben ein Thema ist, das ihn beschäftigt. An der Wohnungstür willkommen geheissen zu werden, das gibt es für ihn nicht, nicht mehr.
Ich ist er
Das Gedicht stammt aus der späten Lebensphase des Dichters, aus dem Band «Idyllen», in dem Themen wie Alter, Krankheit, Einsamkeit zur Sprache kommen. Witz und Munterkeit umgeben es wie ein leichtes Gewand, unter dem sich Melancholie und Enttäuschung verbergen. Es hat die Illusionen hinter sich gelassen; diese tauchen, ironisch verzerrt, als familiäres Empfangskomitee noch einmal auf. In Wirklichkeit geht das Heimkommen ohne Umarmungen und Küsse vor sich. Es fallen keine Worte, ausser dass der Mann zu sich selber spricht. Das Selbstgespräch am Schluss («was alles war draussen», «wie alles war zuhaus») ist ein kommunikatives Relikt, das ihm vom Umgang mit andern Menschen geblieben ist.
Ernst Jandl (1925 – 2000) hat in seinem Leben weit über ein Dutzend Gedichtbände veröffentlicht. Zahlreiche Gedichte dieses ausgezeichneten Vorlesers und Performers wurden auf Tonträger aufgezeichnet, viele wurden vertont, sein Werk ist mehrfach ausgezeichnet und geehrt worden. «Idyllen» (1989) erschien, wie praktisch alle seiner Bücher, im Luchterhand Verlag, der auch zwei Werkausgaben besorgte. Am 1. August hätte Jandl Geburtstag feiern können, seinen 87.