Unser Wochengedicht stammt diesmal von Heike Fiedler. Ihr Gedicht «Imagine» lässt sich mittels seines babylonischen Sprachgewirrs sowohl als Warnung vor dem Krieg, aber auch als Appell zu einer völkerverbindenden Friedensbewegung deuten.
Imagine
stell dir vor it‘s war et keiner n‘y va stell dir
vor c‘est la guerre and personne goes
imagine es ist wahr and nobody geht
IMAGINE stell dir vor il n‘ y a guère
personne qui goes stell dir vor it‘s wahr
and no body geht stell dir vor et personne
ne va IMAGINE stell dir vor c‘est la
guerre und nobody war‘s stell dir vor and
no person geht stell dir vor und keiner
goes IMAGINE stell dir vor es war et
puis personne stell dir vor und nothing va
IMAGINE stell dir vor que toi encore une
fois stell dir vor IMAGINE tout le monde
y va stell dir vor IMAGINE hell in front
de moi keiner wars stell dir vor wars are
over IMAGINE stell dir vor
IMAGINE
Den Satz kennen alle, aber so haben wir ihn noch nicht gelesen. Er ist nicht einfach in drei Sprachen wiedergegeben, vielmehr vermischen sich schon in der ersten Zeile Deutsch, Französisch und Englisch zu einer babylonischen Sprachverwirrung. Im alten Babel bestand das Verwirrende darin, dass die eine, verbindende Sprache in unzählige verschiedene Sprachen zerfiel.
Hier dagegen rührt sie daher, dass die drei Sprachen sich verzahnen und ergänzen, als seien sie zu einer einzigen zusammengewachsen. Der Satz gibt der Idee einer friedlichen Koexistenz auf sinnlich-spielerische Weise Ausdruck. Fast fühlt man sich beim lauten Lesen an ein internationales Friedenscamp erinnert, wo der Gedanke der Völkerverbindung, von verschiedenen Zungen ausgesprochen, als fröhlich durchmischtes Kauderwelsch erklingt.
Was Heike Fiedler veranstaltet, hat mit Kauderwelsch nichts zu tun. In ihrem Text entstehen durch die leichte Variierung und Verschiebung von Wörtern neue Sinnkombinationen, etwa wenn an die Stelle des englischen «war» das deutsche «wahr» tritt («es ist wahr and nobody geht»), wobei die neuen Wendungen die ursprünglichen Bedeutungen noch immer in sich enthalten.
guerre der Wörter
In gewisse Varianten kann sich unmerklich auch ein Subtext einschleichen, der sich als Warnung vor dem Krieg liest – «es war et puis personne» – oder der den Schrecken des Kriegs aufblitzen lässt, am deutlichsten in «hell in front de moi», gefolgt vom zynischen «keiner wars». In den Ausgangssatz infiltrierte fremde Wörter wie «hell» reissen die Eintracht auf, die zu Beginn des Gedichts herrscht, und drohen den harmonischen Kanon zu drei Stimmen im Chaos enden zu lassen. Der Ruf «imagine», der in immer rascherer Folge ertönt, wirkt fast wie ein Hilfeschrei in der allgemeinen Kakophonie. Am Ende gewinnt «imagine» die Oberhand. Das Wort, ein englisch-französiches Homograph, steht am Anfang des Gedichts und an seinem Ende, es bildet die Klammer um die drei Sprachen und bekräftigt das Gemeinsame, um das es dem variierten Satz geht. Von ferne klingt John Lennons Song «Imagine» von 1971 an: «Imagine all the people living life in peace».
Ahnenforschung
In welcher Sprache liegt eigentlich der Ursprung des Satzes? Anteil an seiner heutigen Gestalt haben das Englische und vermutlich das Französische. Er geht zurück auf das 300-Seiten-Gedicht «The People, Yes», das der amerikanische Dichter und Journalist Carl August Sandburg 1936 veröffentlichte. Dessen Zeile «Sometime they’ll give a war and nobody will come» stand im Mai 1968 dem französischen Slogan «Imagine: c’est la guerre et personne n’y va !» Pate, und von da hat sie wohl den Weg ins Deutsche gefunden.
Es gab, dies am Rand, gelegentlich Versuche den Spruch umzudeuten, etwa durch den Zusatz «Dann kommt der Krieg zu dir». Auch wurde er fälschlicherweise Bertolt Brecht zugeschrieben, der in seiner «Koloman-Wallisch-Kantate» jedoch dem revolutionären Kampf das Wort redet:
«Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt
Und läßt andere kämpfen für seine Sache (…)
Der wird teilen die Niederlage.»
Heike Fiedler hat die französich-deutsche Version ins Englische rückübersetzt. Sie arbeitet mit Worten und Wendungen, die sich in drei Sprachen entsprechen und leicht den Weg von hier nach da finden – leicht und ohne sich um Grenzen oder Hoheitsgebiete zu kümmern.
Heike Fiedler im August 2010 in Genf (Bild: zVg)
Geboren ist die Autorin 1963, aufgewachsen ist sie in Düsseldorf. Heute lebt und arbeitet Heike Fiedler in Genf. Mit ihrer Textarbeit ist sie tätig auf den Gebieten Montage, Performance, Installation, Video, Interventionen im öffentlichen Raum. Das Gedicht stammt aus ihrem zweiten Textband, «langues de meehr», erschienen in der edition spoken script bei «Der gesunde Menschenversand» 2010.